Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)

Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)

Titel: Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
Vom Netzwerk:
Kunst uns nicht schützen kann, daß Philip Ploss nicht unverletzlicher war als andere Menschen auch und daß er das Bollwerk der Kultur nur deswegen immer höher um sich auftürmte, weil die Welt, in der auch er leben mußte, von Tag zu Tag angsteinflößender wurde.
    Ploss hätte das selbst zugegeben. Er hätte gesagt, das Leben fordere, daß er sich in diese Dinge vergrabe – daß er sich vergrabe, weil es nun einmal ein Naturgesetz sei, daß gleich und gleich sich geselle. Er wußte zum Beispiel, daß er ein Mensch war, der gern Zuflucht in Zitaten suchte; in jeder Notlage vergrub er sich instinktiv in den Verstand eines anderen. Er wußte, daß es für einen Mann seiner Generation eine Flucht ins Zitat war, wenn er die Seele von Löwenzahn und Butterblume besang. Aber wenn emanzipierte Schuljungen das verstanden und ihn in Besprechungen seiner Verse für die fortschrittlichen Zeitschriften dafür verspotteten, war er zu Recht gekränkt. Denn ein Künstler darf mit Zitaten arbeiten, wenn diese sein gewähltes Medium sind, und es waren schließlich nicht einfach nur Löwenzahn und Butterblume, sondern es waren Blumen mit einer Prise Cowper und einer Prise Crabbe, und darin lag Philip Plossens ureigene Poesie. Er dichtete nach der Natur in all ihren kleinen, unauffälligen Zügen, und auch wenn es eine Flucht war, verfeinert durch das Studium fast schon vergessener literarischer Geister, war es doch eine echte, wenn auch zarte Inspiration. Dies in perfekten, dabei bescheidenen Versen auszudrücken war sein Lebensziel.
    Vielleicht gerade weil sein Hauptaugenmerk einer Sache von so begrenzten Dimensionen galt, verspürte Philip Ploss das Bedürfnis, den Blick auch einmal in die Ferne schweifen zu lassen. Zur Entspannung hatte er an der höchsten Stelle seines Gartens einen kleinen hölzernen Hochsitz gebaut. Er war kunstvoller als die meisten solcher Konstruktionen. Die oberste Etage war überdacht und teilweise verglast, und Ploss hatte immer ein paar Bücher, ein paar Schallplatten und ein Grammophon desselben Typs wie im Hause zur Hand. Es war ein Ort der Ruhe jenseits der Ruhe, eine Zuflucht über die Zuflucht hinaus – und die Landschaft breitete sich vor dem Betrachter aus wie eine Landkarte. Nur nach Nordwesten war der Blick durch die letzten Ausläufer der Chilterns begrenzt. Doch in der entgegengesetzten Richtung, wo das Panorama sich nach St.   Albans weitete, mit dem unteren Themsetal in der Ferne, bekam der Ausblick etwas beinahe Kontinentales. Eine Bodenwelle richtete es so ein, daß ein überraschend klarer Übergang zwischen nächster Umgebung und ferner Landschaft entstand. Wie von einem diskreten, geschickten Maler gemalt, hatte dieses Landschaftsbild keinen Mittelgrund. Unmittelbar unterhalb des Hochsitzes erstreckte sich das vertraute Terrain des Dichters: Lark Manor samt Garten, ein Feldweg, ein Wäldchen, ein großes und zwei kleine Felder, Kühe, von denen er jede einzelne so gut kannte wie den Pfarrer oder den Doktor und die er im Zweifelsfalle höher schätzte als diese. Jenseits – ein abrupter Wechsel, wie eine Fotomontage – lag nach allem, was Philip Ploss wußte, das vielfältige und volkreiche Feld namens England. Für einen Topographen war der Bereich, der zu überblicken war, vielleicht gar nicht so groß, doch die Komposition, die Atmosphäre, die Stimmung ließen ihn weiter erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Philip Ploss saß gern auf seinem Hochsitz und ließ Licht und Schatten, wie sie über diese Landschaft wanderten, auf sich wirken. Ein schmächtiger Mann mittleren Alters mit freundlichen, immer ein wenig unsicher blickenden Augen und gutmütig zerzaustem Haarschopf, saß er stundenlang und sah versonnen in die Ferne, genoß, was die Horizonte ihm boten.
    Er war Dichter, und er muß in dieser sanften Hügellandschaft – oder gerade jenseits der Hügel – mehr gesehen haben als die vertrauten Kühe und die so oft begangenen Wege; er muß Symbole, Rätsel gesehen haben. Das Landleben, in dem er sich so wohlfühlte, war, auch wenn es noch so wohlhabend und wohlgepflegt wirkte, ein Überbleibsel, dem Untergang geweiht. Weit nach Süden hin, auf den unsichtbaren Sportplätzen von Eton, spielten die Söhne der Herrschenden sich ein zu einem weiteren Jahrhundert der Macht, auch wenn alles andere als sicher war, ob sie am Ende Sieger blieben. Und nur ein paar hundert Schritte jenseits, von den Zinnen von Windsor, verfolgten die Geister manch eines Harry und manch eines

Weitere Kostenlose Bücher