Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
Samos wandern. Es war ein Lieblingsbild, das er schon seit jungen Jahren besaß, ein Ideal, um das sich ein Gutteil seiner Einstellungen und Überzeugungen kristallisiert hatte. »Wohl kaum. Aber es ist, das muß man sagen, ein Feld, auf dem man sich niemals sicher sein kann.« Er hielt inne, als sei ihm ein plötzlicher Gedanke gekommen. »All diesen Dingen sind Sie schon nachgegangen?«
»Oh ja. Das gehört zur Routine.« Appleby lächelte ein wenig bitter. »Und da wir gewohnheitsmäßig jeden und alles verdächtigen, wird es sehr gründlich gemacht. Aber bei Ploss führt es nicht weiter. Das nächste, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, ist Erpressung. Da wir Spuren fanden, daß das Haus durchsucht worden war, schien es ein vielversprechender Ansatz.«
»Durchsucht?«
»Ja. Wissen Sie noch, vorhin habe ich gesagt, wir können nicht sicher sein, ob es ein Tagebuch gab. Jemand durchsuchte sein Haus und dürfte alles in dieser Art mitgenommen oder vernichtet haben. Solche Dinge, das können Sie sich vorstellen, sind geradezu alltäglich bei den Fällen, bei denen Erpressung ins Spiel kommt: Der Täter bringt den Erpresser zum Schweigen und eignet sich dann die belastenden Papiere und dergleichen an.«
»Es muß doch eine Unmenge Arbeit sein, ein ganzes Haus zu durchwühlen.«
»Durchwühlen ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Der Täter suchte nicht überall. Es handelte sich um das, was wir eine qualifizierte Suche nennen; sie konzentrierte sich auf die Stellen, an denen zu erwarten war, daß jemand Papiere ablegte. Ablegte, wohlgemerkt, nicht versteckte. Es war leicht. Ploss blieb manchmal bis tief in die Nacht auf dem Hochsitz, und seine Haushälterin – die einzige andere Person, die im Haus wohnte – ging schlafen, ohne die Türen zu verschließen. Es war also nicht schwer für Plossens Mörder, sich anschließend umzusehen. Und er tat es mit großem Geschick.« Appleby war wiederum an der Knossos-Statuette stehengeblieben und starrte sie an, wie jemand eine kahle Wand anstarren mochte. »Die pure Vergeudung erstklassiger Arbeit, könnte man sagen.«
Hetherton hatte an seinem mit Papieren beladenen Schreibtisch Platz genommen und in Großbuchstaben PHILIP PLOSS auf einen Schreibblock geschrieben. Jetzt betrachtete er diese Buchstaben ratlos. »Die Durchsuchung, von der Sie sprechen«, sagte er, »– ich glaube, ich weiß, worauf es hinausläuft. Wäre es ein wertvolles oder belastendes Dokument gewesen, so hätte Ploss es gewiß verborgen oder unter Verschluß gehalten. Oder jedenfalls wäre ein anderer davon ausgegangen. Aber hier wurde anscheinend nach etwas gesucht, bei dem Ploss keinen Grund gesehen hätte, es zu verbergen.«
»Genau das.«
»Sagen wir also so: Das Haus wurde durchsucht, weil Ploss Dinge besaß – oder die Möglichkeit bestand, daß er sie besaß –, Papiere, Aufzeichnungen, Gegenstände, die für jemanden von Wert oder Bedeutung waren – eine Bedeutung, von der Ploss selbst nichts wußte.«
Appleby nickte – mit dem Anflug eines Lächelns, was Hetherton ein Glucksen entlockte. »Mein lieber Appleby, Sie dürfen sich nicht lustig machen über meine ersten kriminologischen Versuche. Man muß erst gehen lernen, bevor man laufen kann.« Noch einmal lachte er leise. »Obwohl es sich anhört, als könne ich es gar nicht erwarten mitzumachen, nicht wahr? Und vielleicht ist das die Wahrheit. Mit einemmal kommt mir das Museum muffig und langweilig vor.« Wieder blickte er unschlüssig auf seinen Schreibblock. »Ich will die Wahrheit über diesen Ploss wissen. Nicht weil ich einen Mörder fassen will – ich fürchte, der Gedanke schreckt mich eher –, sondern weil das Rätsel mich gepackt hat.« Und nachdem er solcherart genau die Überzeugung zum Ausdruck gebracht hatte, der jener muffige und langweilige Ort seine Existenz verdankte, schrieb Hetherton noch ein zweites Mal PHILIP PLOSS auf seinen Block. »Erzählen Sie mir, wie die Fachleute eine solche Aufgabe angehen.«
»Mühsam und uninspiriert. Wir ziehen Erkundigungen über die Gewohnheiten und Lebensumstände des Opfers ein, und besonderes Augenmerk richten wir auf Veränderungen, die sich darin vielleicht in letzter Zeit ergeben haben. Aber bei Ploss brachten diese Nachforschungen so gut wie nichts zutage. Er fuhr neuerdings häufiger nach London. Und blieb länger. Und die Haushälterin hatte den Eindruck, daß er mit seinen Büchern anders umging als sonst. Statt eines herauszunehmen und zu lesen, blätterte
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