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Der gehetzte Amerikaner

Der gehetzte Amerikaner

Titel: Der gehetzte Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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nichts zu
erzählen; ich wohne auf der anderen Straßenseite. Den
heutigen Abend habe ich mit einer Freundin in Chelsea verbracht, und da
wir keine Taxe mehr bekommen konnten, wollte ich zu Fuß
gehen.« Sie lachte leise auf. »Aber was Sie angeht, Sie
scheinen mir nicht der Typ zu sein, der auf eine Bank an der
Uferpromenade angewiesen ist!«
    »Das kann jedem mal passieren«, meinte er leichthin.
      »Aber nicht Ihnen«, lachte sie. »Sie sind kein Engländer, nicht wahr?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich komme aus Boston.«
      »Ach, ein Amerikaner…« Dies brachte sie so heraus, als ob diese Tatsache alles erkläre.
      Er zeigte ein kleines, müdes Lächeln und
meinte dann: »Zu Hause in meiner Heimat habe ich Freunde, die
über diesen Punkt mit Ihnen streiten würden!«
      »Haben Sie weit zu gehen?« fragte sie,
»oder beabsichtigen Sie, die Nacht hier zu verbringen?«
      »Ich bin mir noch nicht schlüssig, ob ich
hierbleibe«, entgegnete er. »Ich habe ein Zimmer in einem
Hotel am Russell Square. Den Weg dahin werde ich schon schaffen.«
      Schwere Regentropfen fielen durch die Zweige der
Sykomoren, und Brady zog seinen Jackett-Kragen noch enger um den Hals.
Ihn fror plötzlich.
    Die junge Frau runzelte die Stirn.
      »Mein Gott, Sie müßten wenigstens
einen Mantel anziehen! Sie werden sich eine schöne
Lungenentzündung holen!«
      »Haben Sie sonst noch ein paar Vorschläge?« fragte er knurrig.
    Sie nahm seinen Arm.
      »Kommen Sie mit zu mir nach Haus. Ich glaube,
ich habe noch einen alten Regenmantel im Schrank. Den können Sie
tragen.«
    Er hatte keine Lust mehr zu
widersprechen. Es schien, als sei alle Energie aus ihm gewichen. In dem
Augenblick, als er losmarschieren wollte, war ihm, als ob der
Whiskydunst mit Macht wieder in sein Gehirn gestiegen sei.
      Der Nebel drang auf sie ein, getrieben von einer
schwachen Brise. Sie überquerten die Straße und schritten
dann auf dem hallenden Bürgersteig entlang. Der Regen tropfte
gleichmäßig von den Zweigen der Bäume. Als sie in eine
Seitenstraße bogen, fuhr ein Wagen unsichtbar im Nebel an ihnen
vorbei.
      Brady merkte sich den Straßennamen, der an dem
Eckhaus hoch oben auf einem alten, blau und weiß emaillierten
Schild stand: Edgbaston Gardens. Vor ihnen leuchtete ein seltsamer
orangeroter Fleck im Nebel. Die Bude eines Wächters hob sich aus
der Dunkelheit heraus; daneben flackerte ein Koksfeuer in einer
eisernen Kohlenpfanne.
      In der Bude konnte Brady eine dunkle Gestalt erkennen, deren Gesicht durch das Feuer schwach erleuchtet war.
      »Seien Sie vorsichtig«, warnte die Frau,
»hier muß irgendwo ein Gitter sein. Sie arbeiten
nämlich an der Gasleitung!« Er folgte ihr dicht auf den
Fersen, als sie um ein eisernes Gitter herumging und dann einige Stufen
emporstieg. Vor der Haustür blieb sie stehen und suchte in ihrer
Handtasche nach dem Schlüssel. Das Haus war das letzte auf dieser
Straßenseite; neben ihm erstreckte sich ein Friedhof, und ein
Kirchturm ragte schemenhaft in die dunkle Nacht. All diese
Eindrücke machten auf Brady den Anschein des Unwirklichen und
Traumhaften, als ob diese Umgebung im nächsten Augenblick im Nebel
verschwinden könnte. So folgte er der Frau schnell in den
Hausflur, nachdem sie aufgeschlossen hatte, und wartete darauf,
daß sie das Licht anknipste.
    Am Fuß der Treppe stand dicht an
der Wand ein alter viktorianischer Kleiderschrank. In seinem Spiegel
sah Brady, wie sich eine Tür hinter ihm öffnete, und für
einen kurzen Moment erschien ein altes und verrunzeltes Gesicht, zu
dessen beiden Seiten lange Ohrringe herunterhingen. Doch als er sich
umdrehen wollte, schloß sich die Tür geräuschlos
wieder. »Wer ist Ihre Nachbarin?« fragte er.
      Stirnrunzelnd erwiderte sie: »Nachbarin? Die
untere Wohnung hier ist leer, und Sie brauchen also nicht so leise zu
sein. Ich selbst wohne im ersten Stock.«
      Brady stieg hinter ihr die Treppe empor. Er hielt sich
am Geländer fest und fühlte sich merkwürdig beschwingt.
Man konnte schließlich nicht erwarten, daß sich die Folgen
einer zweitägigen Sauferei einfach abschütteln ließen.
Bei ihm wirkten sie sich aber so aus, daß ihm alle Dinge wie in
einem merkwürdigen Traum erschienen; seine Glieder dagegen
bewegten sich leicht, wenn auch langsam.
      Ihre Wohnung lag oben im ersten Stock. Die junge Frau
schloß die Tür auf und ging ihm voran. Die Wohnung war
überraschend gut eingerichtet. Ein dicker Teppich bedeckte

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