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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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entstand eine steile Falte, die Verärgerung signalisierte. Trotzdem las sie bis zum Ende. Dann legte sie das Papier auf den Tisch zurück und sagte mit größter Beherrschung: »Bei allem Verständnis für Ihre Großmutter, aber das ist infam!«
    Sascha hörte das Zittern in ihrer Stimme, als sie weitersprach.
    »Galina Petrowna war Schauspielerin und sicher phantasiebegabt, aber dass sie nicht vor einer solchen Fälschung zurückschreckt, ist unglaublich!«
    Sascha sah sie an. Seine Stimme war ruhig. Er erzählte ihr von seiner Schwester und wie er zu dem Brief gekommen war.
    »Glauben Sie wirklich, dass meine Großmutter diesen Brief hätte schreiben können? Sehen Sie, von meiner Tante weiß ich, dass Babuschka in den sechziger Jahren nach Moskau gereist ist und nach der Geige gesucht hat. Warum hätte sie das tun sollen?«
    Sonja Kopejewa lachte auf und beugte sich vor. »Lächerlich! Jetzt hören Sie mal gut zu, junger Mann. Ilja Wassiljewitsch hat die Geige am Abend seiner überstürzten Flucht meinem Vater geschenkt, und Galina hat das gewusst.«
    Sie hob den Kopf und sah Sascha triumphierend an. »Ilja Wassiljewitsch hatte seine Flucht von langer Hand geplant. Ursprünglich wollte er zusammen mit seiner Frau und den Kindern fliehen. Er stellte hinter dem Rücken meines Vaters diesen völlig aussichtslosen und dummen Antrag, seine Frau und seine Kinder auf die nächste Konzertreise mitnehmen zu dürfen. Mein Vater erfuhr durch meinen Mann von diesem Antrag, und der sagte ihm auch, dass Ilja mit sofortiger Wirkung Reiseverbot habe.« Sie presste die Lippen aufeinander, schien für einen Moment unsicher, ob sie weitersprechen sollte. »Jetzt sage ich Ihnen etwas, das nicht einmal mein Mann weiß. Es war mein Vater, der Ilja an jenem Abend warnte. Und daraufhin entschloss Ilja Wassiljewitsch sich, noch in derselben Nacht zu verschwinden. Seine Geige konnte er nicht mitnehmen. Er schenkte sie meinem Vater aus Dankbarkeit und sicher auch, weil er wusste, dass sie bei ihm in guten Händen war.«
    Sie lehnte sich zurück. »Ihre Großmutter hat diesen Umstand in den ersten Jahren der Verbannung auszunutzen versucht. Sie hat es nie direkt angesprochen, aber sie hat Briefe geschickt. Ihre Drohungen klangen freundlich, waren versteckt zwischen den Zeilen, und sie hat ganz offen Geld verlangt. Mein Vater hat sich darauf eingelassen und hat ihr tatsächlich Geld geschickt.«
    Sie stand auf. »Die Geige befindet sich seit fast sechzig Jahren in unserem Besitz. Erklären Sie mir, wie das möglich sein sollte, wenn ihm – wie in diesem Papier steht«, und dazu machte sie eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Tisch, auf dem die Kopie lag, »die Geige in der Lubjanka abgenommen wurde?«
    Sie hatte sich in Zorn geredet, aber Sascha hörte noch etwas anderes. Er hörte einen leisen Zweifel in ihrer Stimme, so als stelle sie diese Frage nicht nur ihm, sondern auch sich selbst.
    Er sortierte die neuen Informationen in Windeseile. War die Geige hier im Haus? Sonjas Mann hatte die Anfrage seines Vaters von 1990 abschlägig beantwortet. Seine Unterschrift war unter dem Papier gewesen, während die Geige im Besitz seiner Familie gewesen war.
    Sollte er es ihr sagen?
    Er stand auf und spielte den Geläuterten.
    »Dürfte ich sie sehen?«, fragte er leise. »Ich würde sie gerne einmal sehen.«
    Sonja Kopejewa zögerte, dann nickte sie, ging zur Tür und drückte auf einen Knopf.
    Der Bodyguard kam herein.
    »Begleiten Sie uns ins Musikzimmer«, wandte sie sich an ihn und winkte Sascha, ihr zu folgen.
    Sie gingen den Flur entlang und betraten ein helles Eckzimmer. In der Mitte des Raumes stand ein schwarzer Steinway-Flügel. Auf dem Deckel spiegelte sich die Sonne. Es roch nach Politur und nach selten genutztem Raum.
    Sie führte ihn zu einer Glasvitrine, die auf einem zierlichen Unterschrank mit geschwungenen Beinen stand. Darin lag in einem geöffneten Geigenkoffer die Stradivari auf einem samtblauen Futteral. Sascha beugte sich vor. Im Innern des Instruments klebte ein verwitterter und an den Rändern bereits abgelöster Geigenzettel. »Antonius Stradiuarius Cremo …«, konnte er entziffern. Darunter stand »Faciebat Anno 17…« Der Rest des Zettels war abgeblättert.
    Er betrachtete sie ruhig und konzentriert. Es war nicht mal eine Woche her, dass er von ihr erfahren hatte, und jetzt lag sie vor ihm. Für diese Geige war seine Familie gestorben, und damit, so schien es ihm, hatte sie sein ganzes Leben bestimmt.
    Er wusste

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