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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Itschan-Kala, der Innenstadt Chiwas, ins Freie. Der Hufschlag des Esels dröhnte von den Gewölben wider.
     Nasreddin blieb stehen, breitete die Arme. Ja, das war es, sein Land! Erst jetzt hatte ihn das Leben wieder. Im Augenblick fiel alles Wirre, Unklare, auch Wunderbare ab von ihm. Sonnenüberglüht lag die Ebene da, gelb, baumlos und dennoch fruchtbar und lieblich, die Oase Choresm, die er im Gefolge Timurlenks, des Gewaltigen, bereist und in der er die glücklichen Stunden mit Nilufar erlebt hatte…
    Als nun Nasreddin den Kopf drehte, die Arme noch immer weit geöffnet, erstarrte er in dieser Pose. Was, zum Scheitan, bedeutete das schon wieder? Aufgereiht wie die Kamelreiter des Bayazid, standen da im Schatten des Festungswalls langgestreckte Häuser, glänzend und bunt bemalt, mit Reihen gro ßer Fenster an den Seiten. Und unten hatten sie wulstige Räder.
     Eine Weile starrte er auf das abermals Unfaßliche. Dann ließ er die Arme sinken. Langsam kehrte Gleichmut in sein Denken. Er wandte das Gesicht erneut der Ebene zu. In der Ferne stieg aus einem Kischlak Rauch. Allah ist groß, seine Wege sind unerforschlich. Wenn es ihm also eingefallen ist, daß die Menschen, seine Kinder, Häuser auf Rädern bauen sollen, dann bauen sie eben. Aber warum habe ich sie unlängst nicht gesehen? Na, sie haben Räder! Also werden sie daher gekommen sein, wo ich nicht war. Die Erde und das Reich Timurs sind unermeßlich!
     Nasreddin faßte den Strick des Esels fester; zögernd, aber stetig trat er an die Kolosse heran, klopfte mit dem Knöchel an die Außenhaut. Aus Lehm waren sie nicht. Es hörte sich an wie der eherne Gong des Muezzins. Welche Verschwendung. Und außerdem roch es in der Nähe dieser Merkwürdigkeiten nicht gut.
     Er stellte sich auf die Zehenspitzen, spähte in das Innere eines solchen Hauses. Eigenartig, dachte er. Wo sie wohl schlafen mögen, und eine Feuerstelle besitzen sie auch nicht. Ob auf den wulstigen Thronen ein angenehmes Sitzen sei, wußte man auch nicht.
    Nasreddin runzelte unentschlossen die Stirn, dann setzte er sich auf den harten Boden, mit dem Rücken gegen eins der dicken Räder gelehnt, faltete das Tuch auseinander und sortierte die kleinen Scheine und unbekannten Münzen. Einen Augenblick dachte er daran, diesen unbrauchbaren Plunder wegzuwerfen, aber irgend etwas sagte ihm, daß das töricht wäre. Schließlich hatte sich der Handel auf dem Basar zugetragen wie auf jedem Basar. Er hatte etwas gegeben – auch wenn er sich nicht erinnern konnte, daß ihm das jemals gehört haben sollte –, und er hatte dafür etwas bekommen. Diese Scheine und Münzen, als seien es Goldstücke. Also verstaute er die Dinge in seinem Gewand, das sich, nun bei näherer Betrachtung, als äußerst neu herausstellte und aussah, als sei er wohlhabend.
     Neugierig geworden, durchsuchte er die in den Chalat eingenähten Säcke und die Taschen der Unterkleider. Er war schon gar nicht mehr überrascht, daß er noch etliche solcher und anders gefärbter Scheine zutage förderte. Was ihm aber einen Schreck einjagte, war ein zusammengefaltetes Papier, aus dem ihm, als er es auseinanderklappte, das Abbild eines männlichen Gesichts entgegenschaute, das ihm bekannt vorkam. Es befanden sich darauf ferner unbekannte Schriftzeilen und das sehr blasse Petschaft mit einem fremden Wappen. Doch plötzlich stutzte er. Da stand auf einer solchen Zeile »Omar Anoraew« in der Schrift, die er gelernt hatte. Ein Name! Anoraew? Und wie überhaupt komme ich zu diesem Papier?
    Nasreddin wiegte den Kopf. Er sah nach oben, über den Zinnen der hohen Lehmmauer gleißte die Sonne. Aber dennoch wurde sehr deutlich, daß ebendiese Zinnen – verfallen, verwaschen – die Anlage säumten. Gleichzeitig aber ging von diesem hohen Wall etwas Bedrohliches aus. Dem Mann fiel ein, daß der Herrscher nicht selten beim Bau von Wällen dieser Art Gefangene, an Pfähle gebunden, als Bewehrung mit einstampfen ließ. »Es wird besser sein«, murmelte er, »wenn zwischen mir und diesem Chiwa ein gut Stück Weges liegt!«
     Mit einem Seufzer stand er auf, blickte noch einmal in das Räderhaus hinter seinem Rücken, stutzte, als er sein Spiegelbild in der harten, durchsichtigen Haut des Fensters erblickte. Er zog das Papier aus der Tasche, verglich das Bild dort mit dem, was er sah, und stellte verwundert fest, daß sich die Abbildungen glichen. Er wiegte erneut den Kopf, strich sich den Bart, rollte die Augen. Kein Zweifel, nicht nur um ihn her

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