Der Gejagte
verstört. »Weißt du, was du diesem Jungen angetan hast?«
»Ich habe ihm das Leben zurückgegeben«, antwortete Abu Dun.
»Was für ein Leben?«, sagte Andrej. »Großer Gott, Abu Dun. Hast
du Romegas vergessen? Willst du, dass der Junge so wird wie er?«
»Romegas wird sterben«, sagte Abu Dun. »Der Dämon hat ihm sein
erbärmliches Leben nicht aus Mitleid oder Großherzigkeit geschenkt.
Er brauchte ein Werkzeug und er hat es so erschaffen, dass es vergehen wird, nachdem es seinen Dienst getan hat. Falls er es nicht vorher selbst zerstört.«
»Das meine ich nicht«, antwortete Andrej. »Und das weißt du verdammt genau. Hast du nicht gesehen, was aus Romegas geworden
ist?«
Mit einem Mal wurde Abu Dun wieder sehr ernst. »Doch«, erwiderte er. »Und ich weiß, was du sagen willst. Aber das wird bei Pedro nicht geschehen. Ich werde auf ihn aufpassen. Er wird kein Blut
trinken müssen um zu leben. Ich werde ihm mein Blut geben, so lange, bis er gelernt hat, das Ungeheuer in sich zu beherrschen. Ebenso
wie du und ich es gelernt haben.«
»Ach ja?«, fragte Andrej böse. »Und du weißt, wie das geht?«
»Nein«, gestand Abu Dun unumwunden. »Aber ich werde es lernen. Ich werde ihn vor sich selbst beschützen, bis er so weit ist, es
alleine zu schaffen.«
So wie ich früher dich beschützt habe, dachte Andrej bitter. Auch er
hatte einst versucht, einem Kind das Leben zu retten, aber auf eine
Weise, die dieses Leben nicht vorsah.
Der Himmel riss auf und Abu Dun legte den Kopf in den Nacken.
Sein Blick suchte und fand Sternkonstellationen und die Sichel des
Mondes. Dann schloss sich die Wolkendecke über ihnen wieder und
die Finsternis kam Andrej noch tiefer vor als bisher; so erdrückend,
dass es ihm das Atmen erschwerte.
»Er wird jetzt bald hier sein«, sagte der Nubier. »Du solltest Julia
nehmen und gehen.«
»Du glaubst wirklich, ich lasse dich allein gegen dieses… Ungeheuer antreten?«, fragte Andrej fassungslos.
»Ich habe ein Boot unten zwischen den Klippen versteckt«, fuhr
Abu Dun ungerührt fort. »Direkt unterhalb von Julias Haus. Es gibt
dort eine kleine Höhle. Pedro kennt sie. Bring die beiden weg von
dieser verdammten Insel. Falls ich es überlebe, komme ich nach und
finde euch schon irgendwie. Und wenn nicht, dann geht einfach irgendwo an Land und lauft so weit weg, wie ihr nur könnt. Versprich
mir das.«
Andrej versprach gar nichts. Er sagte auch nichts, sondern starrte
den Nubier nur ebenso verblüfft wie vorwurfsvoll an. Nur allmählich
begriff er. »Deshalb hast du Julia hierher bestellt, nicht wahr?«, sagte
er langsam. »Nicht, um dich von ihr zu verabschieden, sondern, damit ich verschwinde.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Wie kommst
du auf die Idee, dass mir ihr Leben mehr bedeuten könnte als deines?
Sie ist nur eine Sterbliche.«
Abu Dun verzog verächtlich die Lippen. »Spiel nicht den harten
Mann, Hexenmeister«, sagte er. »Diese Rolle steht dir nicht. Du
wirst dich um die beiden kümmern, sollte ich nicht mehr da sein.«
»Du scheinst ja ziemlich sicher zu sein, dass du den Kampf verlierst«, sagte Andrej.
Abu Dun zuckte mit den Achseln, drehte sich halb herum und stützte sich mit den Unterarmen auf der Brüstung auf. Sein Blick suchte
einen Punkt am fernen, unsichtbaren Horizont und fixierte ihn.
»Nach allem, was ich herausgefunden habe, ist er wirklich unsterblich«, sagte er leise. »Ich glaube nicht, dass es etwas nutzt, ihm das
Herz herauszureißen oder ihn zu enthaupten.« Er lachte rau auf. »Du
solltest dich geschmeichelt fühlen, Hexenmeister. Unsere ungeliebte
Verwandtschaft hat ihren besten Mann aufgeboten, um dich zu erledigen.«
»Wenn du das wirklich glaubst, was tust du dann noch hier?«, fragte Andrej. »Willst du den Heldentod sterben? Das wäre sinnlos.
Niemand dichtet Heldenlieder auf Vampyre.«
»Ich habe gewisse Vorbereitungen getroffen«, antwortete Abu Dun,
während er sich mit den Händen von seinem Halt abstieß und sich
umwandte, um zur anderen Seite der Plattform zu gehen, wo seine
beiden Säbel an die Wand gelehnt dastanden. Er vermied es, in Julias
und Pedros Richtung zu sehen, schob die beiden Waffen in seinen
Gürtel und kam unverzüglich zurück, doch Andrej entging weder der
lauernde Blick, mit dem Pedro ihn maß, noch Julias heftiges Zusammenzucken. Sie schloss die Arme noch fester um den Jungen und
presste ihn schützend an sich, während sie so weit vor dem Nubier
zurückwich, wie es die Mauer in ihrem
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