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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Unternehmen scheitern. Seine Maskerade war
ebenso falsch wie die des hünenhaften nubischen Leibwächters, der
einen Schritt hinter ihm ging. Er war nicht Mustafa Ibn Said - niemand Geringeres als der Stellvertreter des Großwesirs -, sondern
Andrej Delãny, ein Spitzel in Diensten Jean Parisot de la Valettes,
des Großmeisters der Johanniter.
Früher einmal war Andrej ein freier Mensch gewesen, jemand, der
es empört abgelehnt hätte, in die Dienste eines Mannes zu treten, der
unter dem Kreuz der Christenheit focht, und erst recht, sich als Spitzel und Verräter in das Lager des Feindes einzuschleichen. Aber das
war in einem anderen Land gewesen, einer anderen Zeit, einem anderen Krieg und einem anderen Leben. In nicht allzu ferner Zukunft
würde er seinen Namen und auch sein Leben wieder ändern müssen,
ein neues Leben beginnen und in einem weiteren Krieg kämpfen, der
nur einen anderen Namen hatte und unter einer anderen Fahne ausgetragen wurde, aber im Grunde immer derselbe war. Vielleicht war
das die einzige wirkliche Konstante in seinem Leben, das nun schon
so lange währte.
Das, und…
»Das klappt nie«, flüsterte Abu Dun, sein vermeintlicher Leibwächter. Im ersten Moment begriff Andrej den Sinn dieser Worte gar
nicht, aber im nächsten empfand er ein flüchtiges, doch überaus
warmes Gefühl von Dankbarkeit, dass Abu Dun ihn aus seinen Grübeleien in die Wirklichkeit zurückgeholt hatte. Eine Wirklichkeit, die
kompliziert genug war, um seine gesamte Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Ganz Unrecht hatte Abu Dun mit seinen Zweifeln nicht.
Man brauchte das schwer bewachte Tor zum Zeughaus nur anzusehen, um zu wissen, dass sie geradewegs in die Höhle des Löwen
marschierten.
Der mächtige Kuppelbau, der vor ihnen aufragte, war früher einmal
eine christliche Kirche gewesen, die Hagia Eirene, aber von den Insignien des christlichen Glaubens war ebenso wenig geblieben wie
von der andächtigen Stille, die einstmals dort geherrscht haben musste. Der Platz wimmelte von Menschen, von denen wohl die allerwenigsten friedlichen Gedanken nachhingen, denn die Stadt bereitete
sich auf eine weitere Invasion vor, und das ehemalige Gotteshaus
diente nun als Waffenlager des neuen Sultanspalastes von Konstantinopel. Allein dass sie das Tor des Reiches unbehelligt passiert hatten,
das zum ersten der vier Höfe des Sultanspalastes führte, in dem sich
die Hagia Eirene befand, grenzte für Andrej an ein Wunder.
Dazu kam seine Vorahnung, die mittlerweile zur Gewissheit geworden war.
»Vermutlich nicht«, flüsterte Andrej zurück. »Wenigstens nicht,
wenn du weiter dreinschaust wie ein Kaninchen, das einer Schlange
begegnet. Dann wird nämlich auf deinem Grabstein stehen, dass du
an deinem ängstlichen Gesichtsausdruck gestorben bist.«
Er sah seinen vermeintlichen Leibwächter bei diesen Worten nicht
an. Trotz des scherzhaften Tons, den er angeschlagen hatte, um Abu
Dun aufzuheitern, war seine Stimme wenig mehr als ein Flüstern.
Denn der Mann, der zu sein er vorgab, würde niemals im Plauderton
- und schon gar nicht lachend - mit einem Sklaven sprechen, sondern
ihm höchstens einen Befehl oder einen Tadel erteilen.
Unglückseligerweise musste er zugeben, dass der Nubier Recht hatte. Aber es gab kein Zurück. Sie waren zu weit gegangen, um einen
Rückzieher zu machen. Wenn es schon galt, in selbstmörderischer
Weise ihr Leben aufs Spiel zu setzen, dann konnten sie die Sache
auch richtig anpacken. Also würde er wie geplant im Zeughaus des
Palastes als falscher Hofbeamter im Namen des Sultans die Herausgabe der Listen zur Vervollständigung der Bestückung der Flotte
verlangen. Am Nachmittag hatte sich Andrej noch für den Plan begeistern können, mittlerweile hielt er ihn nicht mehr für ganz so gelungen.
Seine Hand tastete nach dem reich verzierten Griff des Krummsäbels, den er anstelle des gewohnten Damaszenerschwertes am Gürtel
trug, und zog sich dann eilig wieder zurück. Er musste besser auf
sich Acht geben. Gerade solche Kleinigkeiten brachten nur zu oft
selbst einen perfekt ersonnenen Plan zum Scheitern. Der Mann, den
er darstellte, trug diese Waffe nur zur Zierde, nicht zur Verteidigung.
Andrej beschleunigte seine Schritte und widerstand mit großer Mühe
der Versuchung, sich verstohlen auf dem großen Platz umzusehen.
Sie wurden nicht aufgehalten. Niemand sprach sie an. Die wenigen
Menschen, die ihren Weg unmittelbar kreuzten, traten hastig mit gesenktem Blick beiseite, da sie in ihm

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