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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unterbrach ihn Andrej. »Und ich werde dem Großmeister davon berichten, wie zuverlässig ihr Euren Befehlen nachkommt.
Doch jetzt lasst mich durch. Es ist von enormer Bedeutung, dass ich
noch vor Mitternacht oben auf dem Turm bin. Ich erwarte eine Nachricht.«
Gehorsam trat der Mann beiseite, doch anders als seine Kameraden
folgte er Andrej, als dieser sich in Bewegung setzte und mit eiligen
Schritten die zweite, nicht weniger massive Tür am anderen Ende des
Tunnels ansteuerte.
»Bitte verzeiht, wenn ich Euch beleidigt habe«, sagte der Soldat,
»doch hier scheint alles drunter und drüber zu gehen. Erst kam tagelang niemand, dann dieser Fischer mit all seinen Netzen und anderen
Dingen, und dann noch die Frau, die…«
»Welche Frau?« Andrej blieb abrupt stehen und drehte sich halb
herum.
»Ich… ich weiß ihren Namen nicht«, antwortete der Soldat eingeschüchtert. »Sie ist vor einer Stunde gekommen und hat behauptet,
sie wäre auf Befehl Eures Freundes hier, des Muselmanen. Aber von
einem solchen Befehl ist uns ebenfalls nichts bekannt. Wir wollten
deswegen nach St. Angelo hinübersignalisieren, sobald es wieder
hell ist, aber…«
»Wo ist sie?«, unterbrach ihn Andrej.
»Wir haben sie festgenommen«, antwortete der Mann. Sein Blick
flackerte unsicher. »War das… falsch?«
»Nein«, antwortete Andrej rasch. Dann machte er eine befehlende
Geste. »Bring mich zu ihr.«
Seine Gedanken überschlugen sich, während er dem Soldaten folgte, der nun ein deutlich schärferes Tempo anschlug. Die Tür wurde
geöffnet, als sie sich ihr auf drei Schritte genähert hatten, ein deutlicher Beweis dafür, dass sie auch von der anderen Seite aus aufmerksam beobachtet worden waren. Dann traten sie auf den kleinen Innenhof der Festung hinaus. Sein Führer deutete auf einen winzigen,
fensterlosen Verschlag auf der anderen Seite des ummauerten Gevierts. Andrej wedelte heftig und ungeduldig mit der Hand, sodass
der Mann die letzten Schritte im Laufschritt zurücklegte und den
schweren Riegel vor der niedrigen Tür gar nicht schnell genug zurückziehen konnte.
Obwohl er gewusst hatte, wen er sehen würde, konnte Andrej einen
überraschten Laut nur mit Mühe unterdrücken, als Julia gebückt auf
den Hof hinaustrat. Es war auch dort so dunkel, dass er ihr Gesicht
nur als hellen Fleck erkennen konnte. Das einzige Licht kam von
zwei matt glimmenden Kohlebecken, die gerade genug Helligkeit
verbreiteten, dass man nicht im Dunkeln gegen eine Mauer rannte
oder über eine Stufe stolperte. Aber er spürte Julias Verwirrung und
Furcht und ebenso deutlich noch etwas anderes - das Grauen, das sie
bei seinem Anblick empfand.
Bevor sie etwas sagen konnte, fuhr er sie an: »Was tust du hier?
Bist du verrückt geworden? Willst du dich mit Gewalt umbringen?«
Julia sah ihn unsicher an, doch als sie antworten wollte, brachte
Andrej sie mit einer raschen Geste zum Schweigen, drehte sich zu
dem Soldaten um, der ihn dorthin begleitet hatte, und sagte: »Es ist
gut. Geh zurück auf deinen Posten. Ich finde den Weg allein.«
Der Blick des Mannes wanderte unstet von seinem Gesicht zu dem
Julias und wieder zurück. Er musste nicht erst aussprechen, was er
von Andrejs sonderbarem Verhalten hielt. Andrej war sicher, dass er
keine zwei Stunden brauchen würde, bis ihm dämmerte, dass weder
La Valette noch sein Sekretär tatsächlich auf dem Weg zu ihnen waren, sondern sich mit seinen Kameraden beraten und dann beschließen würde, dieser ominösen Angelegenheit auf den Grund zu gehen.
Aber wenn Andrej den Stand der Sterne richtig gedeutet hatte,
brauchte er auch nicht mehr allzu viel Zeit.
Endlich verließ sie der Mann. Andrej ergriff Julia absichtlich unsanft am Arm, drehte sie grob herum und zerrte sie neben sich her
auf den Eingang des wuchtigen, sechzig Fuß hohen Hauptturmes der
Küstenfestung zu. Instinktiv versuchte sie sich loszureißen, aber natürlich reichte ihre Kraft nicht aus. Erst als sie das Gebäude erreicht
und die Tür hinter sich geschlossen hatten und nachdem Andrej sich
davon überzeugt hatte, dass niemand in ihrer unmittelbaren Nähe war
und sie belauschen konnte, ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Im Turm war es heller als draußen. In regelmäßigen Abständen
waren Fackeln an den Wänden angebracht worden. Er hörte auch das
gedämpfte Murmeln ferner Stimmen.
»Was suchst du hier?«, fragte er noch einmal, wenn auch in eher erschrockenem als zornigem Ton. »Weißt du denn nicht,

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