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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Hexenmeister?«
Andrej sah ihn verwirrt an.
»Ich bin ertrunken«, erinnerte ihn Abu Dun mühsam. »Bist du
schon einmal ertrunken, Hexenmeister?«
Andrej nickte wortlos. Er wusste immer noch nicht genau, worauf
der Nubier hinauswollte.
»Das ist kein schönes Gefühl«, fuhr Abu Dun fort. »Wenn er wirklich so ist wie wir, dann ertrinkt er auch wie wir. Vielleicht ein bisschen langsamer und vielleicht wacht er schneller wieder auf, aber
danach wird er wieder ertrinken. Und wieder aufwachen. Und wieder
ertrinken.« Er lachte erneut dieses schreckliche, hustende Lachen,
hob aber abwehrend die Hand, als Andrej nach ihm greifen wollte.
»Ich hoffe, es sind wirklich gute Ketten«, murmelte er. »Wer weiß,
vielleicht dauert es ja hundert Jahre, bis sie durchgerostet sind. Oder
noch länger. Wir sollten die Zeit nutzen, Hexenmeister, und uns etwas wirklich Gutes einfallen lassen. Er wird vermutlich ziemlich
wütend sein, wenn seine Ketten irgendwann einmal durchgerostet
sind und ihn die Strömung an irgendeine Küste spült«.
Andrej verspürte ein kurzes, aber eisiges Frösteln. Vermutlich hatte
Abu Dun Recht. Dem Tod zu trotzen bedeutete nicht, völlig gefeit
gegen ihn zu sein. Selbst der Dämon hatte gewankt, als Abu Dun ihm
das Schwert in die Kehle gestoßen hatte. Und auch wenn es vielleicht
nur Augenblicke waren, die er brauchte, um sich aus seinen Ketten
herauszuwinden - das nasse Grab, in das Abu Dun ihn hinabgeschleudert hatte, würde ihm diese Augenblicke nicht lassen.
Wieder lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Er sollte Erleichterung verspüren, doch alles, was er fühlte, war eine sonderbare
Leere und - ja, fast so etwas wie Mitleid. Dieses Ungeheuer, das irgendwann einmal ein Mensch gewesen war, hatte sein Recht auf Leben schon vor langer Zeit verwirkt. Doch wenn Abu Dun Recht hatte, dann stand ihm ein Jahrhundert der Qualen bevor, gegen die selbst
die schlimmste Folter der christlichen Hölle verblasste.
Ein leises Schluchzen ließ ihn aufsehen. Julia hatte sich von ihrem
Platz an der Brüstung gelöst und zwei oder drei Schritte in ihre Richtung getan, war aber nun wieder stehen geblieben. Das Schluchzen,
das er gehört hatte, kam von ihr, aber ihr Gesicht blieb trocken. Nicht
eine einzige Träne rann über ihre Wangen. Sie stand einfach da, am
ganzen Leib zitternd, und starrte abwechselnd ihn und Abu Dun an.
Ihr Blick glitt über Abu Duns verwundetes Gesicht, das nur langsam
heilte, tastete über seinen Arm und den zerfetzten Stoff seines Mantels, unter dem sich zerrissenes Fleisch und geschundene Haut bereits
wieder zusammenzufügen begannen. Sie sagte kein Wort, doch das,
was Andrej in ihren Augen las, machte das auch überflüssig. Er hatte
niemals zuvor einen Menschen gesehen, in dessen Blick ein so abgrundtiefes Entsetzen loderte.
»Julia«, begann Abu Dun mit schwacher, immer noch zitternder
Stimme, brach aber wieder ab, als Andrej ihm die Hand auf den Unterarm legte und sanft den Kopf schüttelte. Seine Stimme versagte.
Julia stand noch einige Augenblicke völlig reglos da, bevor sie ihren Blick mit sichtbarer Mühe von Abu Duns Gesicht losriss und sich
wieder zu ihrem Sohn umwandte.
Pedro hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt. So sehr sich
Andrej auch dagegen wehrte, entdeckte er in den Augen des Jungen
doch nichts als die gleiche schreckliche Leere, die er in denen des
Chevaliers de Romegas gesehen hatte. Das Flackern des Wahnsinns
war nicht da, doch dafür spürte er etwas anderes, Grausameres, das
tief am Grunde der Seele des Jungen zu erwachen begann. Er fragte
sich, ob Abu Dun es wohl auch spürte, aber zugleich hatte er Angst
vor der Antwort auf seine eigene Frage.
Langsam drehte sich Julia um und ging zu ihrem Sohn zurück. Ihr
Blick tastete noch einmal über Romegas’ kopflosen Leichnam, dann
trat sie auf Pedro zu, schloss ihn in die Arme und hauchte ihm einen
Kuss auf die Stirn, bevor sie ihren Blick wieder hob und noch einmal
zu Andrej und Abu Dun herübersah. Vielleicht begriff Abu Dun im
letzten Moment noch, was dieser Blick bedeutete, doch es war schon
zu spät. Er versuchte, den Arm zu heben und ihr etwas zuzurufen,
doch für das eine fehlte ihm die Kraft, und zu dem anderen verweigerte ihm seine Stimme den Dienst. Es hätte auch nichts geändert.
Ein trauriges und zugleich auf unerträgliche Art verzeihendes Lächeln erschien auf Julias Gesicht. Dann schloss sie ihren Sohn noch
fester in die Arme, drehte sich um und

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