Der gelbe Tod
fragte ich.
»Ach, Maggie, Mr. Whytes Modell, weißt du, und Rosi McCormack – wir nennen sie Rosi, weil sie so wundervolles rotes Haar hat, das ihr Künstler so liebt – und Lizzie Burke.«
Ich versprühte eine Wolke Fixierspray über die Leinwand und sagte: »Ja, erzähl weiter.«
»Wir haben Kelly und Baby Barnes, den Schlangentänzer, getroffen – und all die anderen. Ich habe eine Bekanntschaft gemacht.«
»Du hast mich also im Stich gelassen, Tessie?«
Sie lachte und schüttelte den Kopf.
»Es ist Lizzie Burkes Bruder, Ed. Er ist ein vollkommener Gentleman.«
Es drängte mich, ihr ein paar väterliche Ratschläge im Hinblick auf Bekanntschaften zu geben, die sie mit freundlichem Lächeln aufnahm.
»Ich kann mich vor merkwürdigen Freunden in acht nehmen«, sagte sie und begutachtete ihren Kaugummi.
»Aber Ed ist anders. Lizzie ist meine beste Freundin.« Dann erzählte sie, wie Ed von der Strumpffabrik in Lowell, Massachusetts, zurückgekommen war und sie und Lizzie inzwischen erwachsen geworden waren, und was für ein vorbildlicher junger Mann er war, und wie wenig er davon hielt, einen halben Dollar für Eiscreme und Austern zu verschwenden, um seinen Eintritt als Buchhalter in der Wollwarenabteilung von Macy zu feiern. Noch bevor Tessie geendet hatte, begann ich zu malen, und sie nahm ihre Pose wieder ein und lächelte und plauderte dabei wie ein kleiner Sperling. Gegen Mittag war ich mit der Studie weit vorangekommen und Tessie kam herbei, um sie sich anzusehen. »So ist es besser«, sagte sie.
Ich fand das auch und aß mein Mittagessen mit dem befriedigten Gefühl, daß alles gut lief. Tessie breitete ihr Essen auf einem Zeichentisch mir gegenüber aus, und wir tranken Rotwein aus der selben Flasche und zündeten unsere Zigaretten am selben Streichholz an. Ich war Tessie sehr zugetan. Ich hatte sie von einem linkischen, schwächlichen Kind in eine schlanke, aber vollkommen geformte Frau aufwachsen sehen. Sie stand seit drei Jahren Modell für mich, und ich zog sie allen anderen vor. Es hätte mir großen Kummer bereitet, wäre sie ›schlau‹ oder ›gerissen‹ geworden, wie man es so nennt, aber ich konnte nie eine Verschlechterung ihres Benehmens feststellen und spürte im Inneren, daß sie in Ordnung war. Sie und ich, wir sprachen nie über Moral, und ich hatte auch nicht die Absicht, es zu tun, erstens weil ich selbst keine besaß und zweitens, weil ich wußte, daß sie tun würde, was sie wollte, ohne mich um Rat zu fragen. Ich hoffte jedoch, sie würde Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, weil ich ihr das Beste wünschte und auch, weil ich das egoistische Bedürfnis hatte, das beste Modell, das mir zur Verfügung stand, zu behalten. Ich wußte, daß eine Bekanntschaft, wie sie es nannte, für Mädchen wie Tessie keine Bedeutung hatte und daß derartige Dinge in Amerika nicht im geringsten derselben Sache in Paris ähneln. Da ich jedoch mit offenen Augen durchs Leben ging, wußte ich auch, daß irgend jemand sie irgendwann wegnehmen würde, auf die eine oder andere Weise, und obwohl ich mir immer wieder beteuerte, daß das Heiraten unsinnig sei, hoffte ich ernsthaft, daß in diesem Fall am Ende ein Priester winkte. Ich bin Katholik. Wenn ich dem Hochamt lausche, wenn ich mich bekreuzige, dann spüre ich, daß alles, meine Person eingeschlossen, fröhlicher ist, und wenn ich die Beichte ablege, dann fühle ich mich wohl dabei. Ein Mann, der so viel allein ist wie ich, muß jemandem seine Sünden bekennen. Außerdem war Sylvia Katholikin, und das war Grund genug für mich. Aber ich sprach von Tessie, und das ist ein großer Unterschied für mich. Tessie war auch katholisch, sogar viel gläubiger als ich, und so hatte ich, wenn man es alles in allem bedachte, wenig für mein hübsches Modell zu fürchten, bis sie sich verlieben würde. Aber dann würde, wie ich wußte, das Schicksal allein ihre Zukunft entscheiden, und ich betete insgeheim, daß das Schicksal sie von Männern wie mir fernhalten und nur Ed Burkes und Jimmy McCormacks ihren Weg kreuzen lassen würde, Gott schütze ihr süßes Gesicht!
Tessie blies Rauchringe zur Decke und ließ das Eis in ihrem Glas klingeln.
»Weißt du, daß ich gestern Nacht auch einen Traum hatte?« bemerkte ich.
»Doch nicht etwa über diesen Mann?« lachte sie.
»Genau über den. Ein Traum, der deinem ähnlich war, nur viel schlimmer.« Es war dumm und gedankenlos von mir, das zu sagen, aber es ist bekannt, wie wenig Feingefühl der durchschnittliche
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