Der gelbe Tod
mir leid«, sagte sie.
Ich bot ihr an, sich auszuruhen, während ich dem Schandfleck auf meiner Leinwand mit Lappen und Terpentin zu Leibe rückte, und sie ging davon, um eine Zigarette zu rauchen und den Courier Français durchzublättern.
Ich wußte nicht, ob es am Terpentin lag, oder ob die Leinwand einen Fehler hatte, aber je mehr ich schrubbte, umso mehr schien sich die Fäulnis auszubreiten. Ich arbeitete wie besessen, um sie loszuwerden, und doch schien die Krankheit sich von Glied zu Glied der Studie vor mir auszubreiten. Beunruhigt bemühte ich mich, ihr Einhalt zu gebieten, aber nun veränderte sich die Farbe der Brust, und die ganze Gestalt schien von der Infektion befallen zu werden, wie ein Schwamm Wasser in sich aufnimmt. Energisch machte ich von Spachtel, Terpentin und Kratzeisen Gebrauch und stellte mir die ganze Zeit über vor, was für ein Theater ich Duva machen würde, der mir die Leinwand verkauft hatte. Aber bald stellte ich fest, daß weder die Leinwand noch die Farben von Edwards schadhaft waren. »Es muß am Terpentin liegen«, dachte ich, »oder aber meine Augen sind so geblendet und verwirrt vom Nachmittagslicht, daß ich nicht richtig sehen kann.« Ich rief Tessie, das Modell. Sie kam, beugte sich über meinen Stuhl und blies Rauchringe in die Luft.
»Was hast du damit gemacht?« rief sie aus.
»Nichts«, brummelte ich, »es muß am Terpentin liegen.«
»Was für eine scheußliche Farbe es jetzt hat«, fuhr sie fort. »Findest du, daß meine Haut aussieht wie Schimmelkäse?«
»Nein«, sagte ich wütend. »Hast du mich jemals so malen gesehen?«
»Nein, allerdings nicht!«
»Na also!«
»Es muß am Terpentin liegen, oder so«, gab sie zu.
Sie schlüpfte in einen japanischen Kimono und ging zum Fenster. Ich kratzte und rieb, bis ich müde wurde, dann nahm ich meine Pinsel und schleuderte sie mit einer ungestümen Gebärde durch die Leinwand. Tessie hörte lediglich das Geräusch, und doch brach es augenblicklich aus ihr hervor: »So ist es richtig! Fluchen und sich aufführen wie ein Verrückter und die Pinsel ruinieren! Du hast drei Wochen an dieser Studie gearbeitet, und nun sieh sie dir an! Wozu soll es gut sein, daß du die Leinwand zerfetzt? Was sind Künstler bloß für Menschen!«
Ich war genauso beschämt wie immer nach einem solchen Ausbruch und drehte die verdorbene Leinwand zur Wand. Tessie half mir, die Pinsel zu reinigen und tänzelte dann davon, um sich anzukleiden. Vom Wandschirm aus maßregelte sie mich mit guten Ratschlägen bezüglich des ganzen oder teilweisen Verlustes der Beherrschung, bis sie, vielleicht weil sie der Meinung war, daß sie mich nun genug gequält hatte, hervorkam und mich bat, den Westenknopf an der Schulter zu schließen, den sie nicht erreichen konnte.
»Alles ging schief von dem Augenblick an, als du vom Fenster zurückkamst und von dem entsetzlich aussehenden Mann erzähltest, den du im Kirchhof gesehen hast«, stellte sie fest.
»Ja, wahrscheinlich hat er das Bild verhext«, sagte ich gähnend. Ich sah auf meine Uhr.
»Es ist schon nach sechs, ich weiß«, sagte Tessie und rückte ihren Hut vor dem Spiegel zurecht.
»Ja«, antwortete ich, »ich wollte dich nicht so lange in Anspruch nehmen.« Ich lehnte mich aus dem Fenster, zog mich aber gleich darauf angewidert zurück, denn der junge Mann mit dem teigigen Gesicht stand unten im Kirchhof. Tessie sah meine Geste des Mißfallens und sah aus dem Fenster.
»Ist das der Mann, den du nicht magst?« flüsterte sie. Ich nickte.
»Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber er sieht wirklich fett und ekelhaft aus. Irgendwie«, fuhr sie fort und wandte sich zu mir um, »erinnert er mich an einen Traum – einen furchtbaren Traum, den ich einmal hatte. Oder«, überlegte sie und blickte hinunter auf ihre hübschen Schuhe, »war es überhaupt ein Traum?«
»Woher soll ich das wissen?« lächelte ich.
Tessie erwiderte das Lächeln. »Du kamst darin vor«, sagte sie. »Also könntest du vielleicht etwas darüber wissen.«
»Tessie! Tessie!« protestierte ich, »wage nicht, mir damit zu schmeicheln, daß du von mir geträumt hättest!«
»Aber es ist so«, beharrte sie. »Soll ich dir davon erzählen?«
Tessie lehnte sich an die Fensterbrüstung und begann sehr ernsthaft.
»Eines Nachts im letzten Winter lag ich im Bett und dachte an nichts Besonderes. Ich hatte für dich Modell gestanden und war erschöpft, aber ich konnte nicht einschlafen. Ich hörte die Turmuhren der Stadt zehn, elf und
Weitere Kostenlose Bücher