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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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Hartnäckigkeit auf seinen ›r‹s bestand, gegen die sich jeder Instinkt in mir auflehnte. Außerdem gab es dort ein Ungeheuer in menschlicher Gestalt, einen Organisten, der einige der großen alten Hymnen in eigener Interpretation herunterleierte, und ich dürstete nach dem Blut einer Kreatur, die den Lobgesang mit einer Zugabe von Mollakkorden spielte, wie man sie sonst nur in Chören von sehr jungen Studenten hört. Ich glaube, daß der Pfarrer ein guter Mensch war, aber wenn er bellte: »Und der Herrrr sagte zu Moses, der Herrrr ist ein Mann des Krieges, der Herrrr ist sein Name. Mein Zorn wird fürchterlich sein, und ich werde euch töten mit dem Schwerrrt!« fragte ich mich, wie viele Jahrhunderte Fegefeuer notwendig sein würden, um für eine solche Sünde zu büßen.
    »Wer hat das Anwesen gekauft?« fragte ich Thomas.
    »Keiner, den ich kenn’, Sir. Sie sagen der Mann was die Hamilton Appartements hier hat, war scharf drauf. Vielleicht wollt’ er noch’n paar Ateliers bau’n.«
    Ich ging zum Fenster. Der junge Mann mit dem ungesunden Gesicht stand am Kirchhoftor, und bei seinem bloßen Anblick ergriff wieder dieser überwältigende Widerwille von mir Besitz.
    »Übrigens«, sagte ich, »wer ist der Kerl da unten?«
    Thomas schniefte. »Die Made da, Sir? Das is’ der Nachtwächter von der Kirche, Sir. Der geht mir auf ’n Wecker, wie der die ganze Nacht auf ’er Treppe hockt un’ ein’ unverschämt anglotzt. Ich könnte dem die Birne zermatschen, Sir – ’zeihung, Sir.«
    »Erzähl weiter, Thomas.«
    »Ein’ Abend, wie ich mit Harry, dem anderen englischen Jungen, nach Hause komm’, seh’ ich ’n da auf ’er Treppe hocken. Wir hatten Molly un’ Jen dabei, Sir, die beiden Serviermädchen, un’ der glotzt uns so unverschämt an. Ich auf un’ sag’: ›Was glotzt ’n so, du fette Made?‹ – ’zeihung Sir, aber so hab’ ich ’s gesagt. Er antwortet nich’ un’ ich sag’: ›Komm raus, dann zerquetsch ich dir dein’ Puddingschädel‹. Dann mach ich’s Tor auf un’ geh rein, aber er sagt nix, guckt nur so frech. Dann hau ich ’m eine, aber – igitt, sein Kopf war so kalt un’ weich, daß ei’m schlecht wird vom Anfassen.«
    »Was hat er dann gemacht?« fragte ich neugierig.
    »Er? Nix.«
    »Und du, Thomas?«
    Der Junge wurde rot vor Verlegenheit und grinste unsicher.
    »Mr. Scott, Sir, ich bin kein Feigling nich’ un’ ich hab kein’ blassen Schimmer, warum ich weggerannt bin. Ich war beim fünften Ulanenregiment, Fanfarenbläser in Tel-el-Kebir, und bin bei den Oasen angeschossen worden.«
    »Willst du damit sagen, daß du fortgerannt bist?«
    »Ja, Sir, ich bin gerannt.«
    »Warum?«
    »Das is’ ja, was ich nich’ weiß, Sir. Ich hab Molly gegrabscht un’ bin gerannt, un’ die andern hatten genauso viel Angst wie ich.«
    »Aber was machte ihnen Angst?«
    Thomas weigerte sich zuerst, zu antworten, aber jetzt war meine Neugierde über den abstoßenden jungen Mann dort unten geweckt, und ich drängte ihn. Drei Jahre in Amerika hatten nicht nur Thomas’ Cockneydialekt gemildert, sondern ihm auch die Angst des Amerikaners, sich lächerlich zu machen, vermittelt.
    »Sie wer’n mir nich’ glauben, Mr. Scott, Sir.«
    »Doch, das werde ich.«
    »Sie wer’n mich auslachen, Sir.«
    »Unsinn!«
    Er zögerte. »Also Sir, Gott is’ mein Zeuge, daß er, als ich ihn schlug, meine Handgelenke packte, Sir, und als ich sein weiches, schwammiges Gelenk umdrehte, hatte ich einen seiner Finger in der Hand.«
    Die tiefe Abscheu und das Entsetzen in Thomas’ Gesicht mußte sich in meinem eigenen widerspiegeln, denn er fügte hinzu:
    »Es is’ scheußlich, un’ wenn ich ’n jetz’ seh, hau ich einfach ab. Er macht mich krank.« Als Thomas gegangen war, ging ich zum Fenster hinüber. Der Mann stand neben dem Zaun der Kirche, und beide Hände lagen auf dem Tor. Ich zog mich hastig und voll Abscheu und Entsetzen zurück, denn ich sah, daß der Mittelfinger seiner rechten Hand fehlte.
    Um neun Uhr kam Tessie und verschwand mit einem fröhlichen »Guten Morgen, Mr. Scott« hinter dem Wandschirm. Als sie wieder erschien und ihre Stellung auf dem Podest bezogen hatte, begann ich, sehr zu ihrem Vergnügen, eine neue Leinwand. Sie verharrte schweigend, solange ich malte, aber sobald sie das Kratzen des Kohlestiftes nicht mehr hörte, und ich mein Fixiermittel zur Hand nahm, begann sie zu plaudern.
    »Ach, gestern abend hatte ich solchen Spaß. Wir waren bei Tony Pastor.«
    »Wer ist wir?«

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