Der gelbe Tod
um ihren glänzenden Gürtel. Ihre Füße steckten in spitzen, bestickten Pantoffeln, und der Rock ihres Kostüms, in den eigenartige silberne Arabesken eingewirkt waren, fiel ihr bis auf die Knöchel. Die dunkelblaue, mit Silber bestickte Weste und die kurze maurische Jacke, die mit Türkisen übersät war, standen ihr großartig. Sie trat auf mich zu und hielt mir ihr lächelndes Gesicht entgegen. Ich ließ meine Hand in die Tasche gleiten und zog eine goldene Kette mit einem Kreuz hervor und legte es ihr um den Hals.
»Es gehört dir, Tessie.«
»Mir?« stammelte sie.
»Ja, dir. Nun geh, und nimm deine Stellung ein.« Nun rannte sie mit leuchtendem Gesicht hinter den Wandschirm und erschien kurz darauf mit einer kleinen Schachtel wieder, auf der mein Name geschrieben stand.
»Ich wollte es dir erst geben, wenn ich heute abend nach Hause gehe«, sagte sie, »aber jetzt kann ich es nicht mehr erwarten.«
Ich öffnete die Schachtel. Darinnen lag auf rosafarbener Watte eine Spange aus schwarzem Onyx, in den ein seltsames Zeichen oder ein Buchstabe in Gold eingelegt war. Es war weder arabisch noch chinesisch, noch gehörte es, wie ich später feststellte, irgendeiner menschlichen Schrift an.
»Das ist alles, was ich dir als Andenken geben kann«, sagte sie schüchtern.
Ich war ärgerlich, sagte ihr aber, wie hoch ich es schätzen würde und versprach ihr, es immer zu tragen. Sie befestigte es an meiner Jacke unter dem Aufschlag.
»Wie dumm von dir, Tessie, hinzugehen, und mir etwas so Wertvolles zu kaufen«, sagte ich.
»Ich habe es nicht gekauft«, lachte sie.
»Woher hast du es?«
Nun erzählte sie mir, daß sie es eines Tages auf dem Weg vom Aquarium gefunden hatte und wie sie es in der Zeitung annonciert und auf eine Reaktion gewartet hatte und wie sie zuletzt die Hoffnung aufgegeben hatte, den Besitzer zu finden.
»Das war letzten Winter«, sagte sie, »am selben Tag, als ich den ersten schrecklichen Traum von dem Leichenwagen hatte.« Mir fiel mein Traum der vergangenen Nacht ein, aber ich sagte nichts, und kurz darauf flog mein Stift über die neue Leinwand, und Tessie stand reglos auf dem Podest.
III
Der folgende Tag war verhängnisvoll für mich. Als ich ein gerahmtes Bild von einer Staffelei zu einer anderen tragen wollte, rutschte ich auf dem gebohnerten Fußboden aus und fiel unglücklich auf beide Handgelenke. Sie waren so schlimm verstaucht, daß der Versuch sinnlos war, einen Pinsel zu halten. Mir blieb nichts anderes übrig, als im Atelier herumzulaufen und unfertige Entwürfe und Skizzen anzustarren, bis die Verzweiflung von mir Besitz ergriff und ich mich niedersetzte, um zu rauchen und wütend Däumchen zu drehen. Der Regen peitschte gegen die Fenster und prasselte auf das Dach der Kirche und brachte mich mit seinem endlosen Rauschen einem Nervenzusammenbruch nahe. Tessie saß nähend am Fenster und hob von Zeit zu Zeit den Kopf und sah mit solch unschuldigem Mitleid zu mir herüber, daß ich mich meiner Wut zu schämen begann und mich nach einer Beschäftigung umsah. Ich hatte alle Zeitschriften und Bücher in der Bibliothek durchgelesen, aber um irgend etwas zu tun, ging ich zu den Bücherschränken und schob sie mit dem Ellbogen auf. Ich erkannte jedes Werk an seiner Farbe und begutachtete sie alle, indem ich langsam um die Bibliothek schritt und vor mich hin pfiff, um mich bei Laune zu halten. Ich wollte mich gerade abwenden und ins Eßzimmer gehen, als mein Blick auf ein in Schlangenleder gebundenes Buch fiel, das in der Ecke auf dem obersten Bord des letzten Faches stand. Ich konnte mich nicht daran erinnern und konnte von unten die blasse Schrift nicht entziffern, also ging ich hinüber ins Rauchzimmer und rief Tessie. Sie kam aus dem Atelier und kletterte hinauf, um das Buch zu holen.
»Was ist es?« fragte ich.
»Der König in Gelb.«
Ich war verblüfft. Wer hatte es dort hingestellt? Wie war es in meine Wohnung gelangt? Ich hatte vor langer Zeit den Entschluß gefaßt, das Buch niemals zu öffnen, und nichts in der Welt würde mich verleitet haben, es zu kaufen. Fürchtend, daß die Neugier mich verführen könnte, es zu öffnen, hatte ich in Buchläden niemals auch nur einen Blick darauf geworfen. Wenn ich jemals neugierig darauf gewesen wäre, es zu lesen, so bewahrte mich die furchtbare Tragödie des jungen Castaigne, den ich kannte, davor, seine bösartigen Seiten zu durchforschen. Ich hatte mich immer geweigert, irgendwelchen Beschreibungen davon zu lauschen, und in
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