Der gelbe Tod
rauchend hier saß und der Seewind mir ins Gesicht wehte, wußte ich, daß ich mich verirrt hatte. Zu beiden Seiten erstreckte sich die Moorlandschaft, die übersät war mit blühendem Ginster und Erika und Granitfelsen. Kein Baum war in Sicht, ganz zu schweigen von einem Haus. Nach einer Weile hob ich das Gewehr auf, kehrte der Sonne den Rücken und wanderte weiter.
Es hatte wenig Sinn, einem der murmelnden Rinnsale zu folgen, die hin und wieder meinen Weg kreuzten, denn sie flossen nicht ins Meer, sondern mündeten im Landesinneren in den schilfbewachsenen Tümpeln der Moorsenken. Ich war einigen gefolgt, aber sie hatten mich alle in Sümpfe oder zu verschwiegenen kleinen Teichen geführt, von denen die Schnepfe mit schrillem Schrei aufflog und in furchtvollem Taumel davonschwirrte. Ich spürte die aufkommende Müdigkeit, das Gewehr scheuerte auf meiner Schulter, obwohl sie doppelt gepolstert war. Die Sonne sank immer tiefer und schien flach über gelbem Ginster und sumpfigen Teichen.
Während ich dahinwanderte, ging mir mein eigener riesenhafter Schatten voraus und schien mit jedem Schritt länger zu werden. Der Ginster zerrte an meinen Gamaschen, knackte unter meinem Tritt, übersäte die braune Erde mit Blüten, und Farnkraut neigte sich und wogte entlang meinem Pfad. Aus Heidekrautbüschen eilten Hasen durch den Farn davon, und im Sumpfgras hörte ich das schläfrige Quaken der Wildente. Einmal stahl sich ein Fuchs über meinen Weg, dann, als ich verweilte, um an einem hurtigen Bächlein zu trinken, erhob sich neben mir ein Reiher mit schwerem Flügelschlag aus dem Schilf. Ich blickte mich nach der Sonne um. Sie schien den Rand der Ebene zu berühren. Als ich endlich zu dem Entschluß kam, daß es sinnlos sei, weiterzugehen und daß ich mich damit abfinden mußte, zumindest eine Nacht in den Sümpfen zu verbringen, warf ich mich vollkommen erschöpft zu Boden. Die Strahlen der Abendsonne durchrieselten warm meinen Körper, aber die Abendbrise kam vom Meer her auf, und ich fühlte, wie die Kälte von meinen durchnäßten Jagdstiefeln aufstieg. Hoch oben zogen Möwen ihre Kreise und wurden umhergewirbelt wie weiße Papierfetzen, von einem entfernten Sumpf rief ein einsamer Brachvogel. Langsam sank die Sonne in die Ebene, und der Horizont glühte im Nachschein. Ich sah zu, wie der Himmel sich von hellstem Gold bis Rosa und schließlich in loderndes Feuer verwandelte. Über mir tanzten Mückenschwärme, und hoch oben am ruhigen Himmel schwang eine Fledermaus auf und nieder. Meine Lider wurden schwer. Dann, als ich die Benommenheit abschüttelte, ließ mich ein plötzliches Knacken im Gestrüpp auffahren. Ich hob die Augen. Ein großer Vogel hing zitternd über meinem Gesicht in der Luft. Einen Augenblick lang starrte ich ihn, unfähig, mich zu bewegen, an, dann raschelte etwas hinter mir im Farn, und der Vogel flog auf und schoß jäh in das Dickicht.
Augenblicklich war ich auf den Füßen und spähte durch den Ginster. Aus einem nahegelegenen Heidekrautbusch drangen die Laute eines Kampfes zu mir herüber, dann war alles still. Ich schritt vorwärts, das Gewehr im Anschlag, aber als ich das Heidekraut erreichte, ließ ich das Gewehr sinken und verharrte reglos in schweigender Verwunderung. Ein toter Hase lag am Boden, und auf dem Hasen stand ein prachtvoller Falke. Er hatte eine Klaue in den Hals der Kreatur geschlagen, die andere ruhte kraftvoll auf ihrer schlaffen Flanke. Aber was mich erstaunte, war nicht der bloße Anblick eines Falken über seiner Beute. Das hatte ich schon mehr als einmal gesehen. Es war die Tatsache, daß der Falke etwas wie Laschen um beide Klauen trug, an denen ein rundes Metallteil hing, das einer Schlittenglocke ähnelte. Der Vogel blickte mich mit seinen wilden, gelben Augen an, duckte sich dann und schlug seinen gebogenen Schnabel in das erlegte Wild. Im selben Augenblick erklangen eilige Schritte im Heidekraut, und ein Mädchen sprang in das Dickicht. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, trat sie auf den Falken zu, hielt ihre behandschuhte Hand unter seine Brust und hob ihn von seiner Beute fort. Dann ließ sie geschickt eine kleine Kappe über den Kopf des Vogels gleiten und beugte sich, indem sie ihn auf ihren Stulpenhandschuh trug, nieder, um den Hasen aufzuheben.
Sie schlang eine Schnur um die Läufe des Tieres und befestigte das Ende der Leine an ihrem Gürtel. Dann begann sie, ihren Weg durch das Dickicht zurück zu bahnen. Als sie an mir vorüberkam, zog ich den Hut, und
Weitere Kostenlose Bücher