Der gelbe Tod
berührte ihn mit den Lippen. Dann ließ sie ihn sinken, wandte sich an mich und sagte mit leiser Stimme: »Ich heiße Sie willkommen.«
In diesem Augenblick kam einer der Falkner mit einem weiteren Becher, bot ihn aber, bevor er ihn mir reichte, dem Mädchen, das davon kostete. Der Falkner machte Anstalten, ihn wieder entgegenzunehmen, aber sie zögerte einen Augenblick, dann bot sie mir, indem sie vortrat, den Becher mit eigener Hand. Ich spürte, daß sie mir damit eine außergewöhnliche Ehre zuteil werden ließ, wußte aber nicht, was man von mir erwartete und hob ihn nicht sofort an die Lippen. Das Mädchen errötete tief, und ich sah, daß ich schnell handeln mußte.
»Mademoiselle«, schmeichelte ich, »ein Fremder, den Sie aus ungeahnten Gefahren errettet haben, leert diesen Becher auf das Wohl der freundlichsten und lieblichsten Gastgeberin Frankreichs.«
»Im Namen des Herrn«, murmelte sie und bekreuzigte sich, während ich den Becher leerte. Dann betrat sie die Toreinfahrt, wandte sich mit anmutiger Geste zu mir um und führte mich, indem sie meine Hand in die ihre nahm, in das Haus, wobei sie immer wieder sagte: »Sie sind sehr willkommen, wirklich, Sie sind willkommen im Château d’Ys.«
II
Ich erwachte am nächsten Morgen zu den Klängen des Horns, sprang aus dem altmodischen Bett und ging zu einem Fenster mit Vorhängen, durch dessen kleine tiefliegende Scheiben das Sonnenlicht eindrang. Das Horn verstummte, als ich in den unter mir liegenden Hof hinabschaute. Ein Mann, der ein Bruder der beiden Falkner des vorangegangenen Abends hätte sein können, stand inmitten einer Horde Jagdhunde. Ein gebogenes Horn hing über seinem Rücken, und in der Hand hielt er eine lange Peitsche. Die Hunde winselten und jaulten und tänzelten erwartungsvoll um ihn herum. Auch das Stampfen von Pferden war in dem ummauerten Hof zu hören.
»Sitzt auf!« rief eine Stimme auf Bretonisch, und von Hufgeklapper begleitet, ritten die beiden Falkner mit Falken auf den Handgelenken in den Hof zwischen die Hunde. Dann hörte ich eine andere Stimme, die mir das Blut zum Herzen trieb. »Piriou Louis, hetzt die Hunde ordentlich und sparet nicht mit Sporen und Peitsche. Ihr Raoul, und Ihr Gaston, achtet darauf, daß der epervier sich nicht NIAIS zeigt, und wenn ihr es für das Beste haltet, FAITES COURTOISIE A L’OISEAU. FARDINER UN OISEAU wie den MUÈ dort auf Hasturs Hand, ist nicht schwer, aber Ihr, Raoul, werdet es nicht so einfach finden, diesen HAGARD zu lenken. Zweimal in der letzten Woche dampfte er AU VIF und verlor die BECADE, obwohl er an die LEURRE gewöhnt ist. Der Vogel beträgt sich wie ein einfältiger BRANCHIER. PAITRE UN HAGARD N’EST PAS SI FACILE.«
Träumte ich? Die alte Sprache der Falknerei, die ich in vergilbten Handschriften gelesen hatte – das alte vergessene Französisch des Mittelalters klang in meinen Ohren, während die Hunde bellten und die Falkenglocken das Stampfen der Pferde begleiteten. Wieder hub sie in der lieblichen, vergessenen Sprache an.
»Wenn Ihr die LONGE besser anmachen wollt und Euren HAGAR AU BLOC lassen, Raoul, werde ich nichts sagen, denn es wäre ein Jammer, sich an einem so schönen Tag die Jagd mit einem schlecht zugerichteten SORS zu verderben. ESSIMER ABAISSER – es ist sicher das Beste. ÇA LUI DONNERA DES REINS. Vielleicht war ich zu voreilig mit dem Vogel. Es dauert seine Zeit, À LA FILIÈRE und zu den Übungen D’ESCAP überzugehen.«
Darauf verbeugte sich der Falkner Raoul in seinen Steigbügeln und antwortete: »Wenn es Mademoiselle Freude bereitet, werde ich den Falken halten.«
»Es ist mein Wunsch«, antwortete sie. »Die Falknerei kenne ich, aber Ihr werdet mir noch so manche Lektion in AUTOURSERIE erteilen müssen, mein armer Raoul. Sieur Piriou Louis, sitzt auf!«
Der Jäger eilte zum Torbogen und kehrte einen Augenblick später auf einem kräftigen schwarzen Pferd zurück, gefolgt von einem Piqueur, der ebenfalls zu Pferde war.
»Ah!« rief sie fröhlich, »Schnell, Glemarec René! Schnell! Beeilt Euch alle! Blast das Horn Sieur Piriou!«
Die silberklare Musik des Jagdhorns erfüllte den Innenhof, die Hunde sprangen durch das Tor, und galoppierende Hufschläge jagten aus dem gepflasterten Hof: laut dröhnend auf der Zugbrücke, plötzlich gedämpft, verloren sie sich im Heidekraut und im Gestrüpp des Moors. Immer entfernter klang das Horn, bis sein Ton so schwach wurde, daß das plötzliche Jubilieren einer sich aufschwingenden Lerche es in
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