Der gelbe Tod
sie nahm mit einer kaum wahrnehmbaren Verbeugung von meiner Anwesenheit Notiz. Ich war so erstaunt, so in Bewunderung des Schauspiels, das sich meinen Augen bot, versunken, daß mir gar nicht in den Sinn gekommen war, daß dies meine Rettung war. Aber als sie sich entfernte, fiel mir ein, daß, wollte ich die Nacht nicht in einem windigen Sumpf verbringen, ich meine Sprache besser unverzüglich wiederfand. Bei meinen ersten Worten zögerte sie, und als ich zu ihr trat, glaubte ich, einen angstvollen Blick in ihren schönen Augen zu erkennen. Als ich ihr aber ehrerbietig meine unangemessene Bitte vortrug, errötete sie und sah mich verwundert an.
»Sie sind sicher nicht aus Kerselec!« erwiderte sie.
Ihre liebliche Stimme zeigte keine Spur des bretonischen Dialektes, noch irgendeines anderen mir bekannten, und doch war etwas daran, was ich schon gehört zu haben glaubte, etwas Vertrautes und Unerklärliches, wie die Weise eines alten Liedes.
Ich erklärte, daß ich Amerikaner sei, mit dem Finistère wenig vertraut und daß ich hier zu meinem Vergnügen auf die Jagd ginge.
»Ein Amerikaner«, wiederholte sie mit ihrer melodischen Stimme. »Ich habe noch nie einea Amerikaner gesehen.«
Einen Augenblick lang verharrte sie schweigend, dann sah sie mich an und sagte: »Selbst wenn Sie jetzt die ganze Nacht hindurch laufen würden, könnten sie Kerselec nicht mehr erreichen, nicht einmal, wenn sie einen Führer hätten.«
Das waren angenehme Neuigkeiten.
»Aber«, begann ich, »wenn ich wenigstens eine Bauernkate finde, könnte ich etwas zu essen und ein Dach über den Kopf bekommen.«
Der Falke auf ihrem Handgelenk flatterte und schüttelte den Kopf. Das Mädchen strich ihm über den glänzenden Rücken und sah mich an.
»Sehen Sie sich um«, sagte sie freundlich. »Können Sie das Ende der Sümpfe ausmachen? Schauen Sie nach Norden, Süden, Osten, Westen. Können Sie etwas anderes als Moorland und Gestrüpp entdecken?«
»Nein«, sagte ich.
»Das Moor ist wild und öd. Es ist einfach, hineinzugelangen, aber manchmal können ihm die, die es betreten, niemals mehr entrinnen. Hier gibt es keine Bauernkaten.«
»Nun«, sagte ich, »wenn Sie mir sagen, in welcher Richtung Kerselec liegt, werde ich morgen nicht länger brauchen, zurückzugelangen, als ich brauchte, um hierherzukommen.«
Wieder blickte sie mich mit einem fast mitleidigen Ausdruck an.
»Ach«, sagte sie, »das Kommen ist leicht und dauert nur Stunden; mit dem Gehen ist es anders – und es kann Jahrhunderte dauern.«
Ich starrte sie verwundert an, entschied aber, daß ich sie mißverstanden hatte. Dann zog sie, noch bevor ich Zeit hatte, den Mund zu öffnen, eine Pfeife aus dem Gürtel und stieß einen Pfiff aus.
»Setzen Sie sich, und ruhen Sie sich aus«, sagte sie zu mir, »Sie kommen von weit her und sind müde.«
Sie raffte ihren Faltenrock zusammen und bewegte sich, indem sie mir bedeutete, ihr zu folgen, gewandt durch den Ginster zu einem flachen Felsen im Heidekraut hin.
»Sie werden gleich hier sein«, sagte sie und nahm an einem Ende des Felsens Platz, während sie mich aufforderte, mich am anderen Ende niederzulassen. Das Abendrot verblaßte am Himmel, und ein einsamer Stern blinkte schwach durch den rosigen Schleier. Ein langgestrecktes, bebendes Dreieck von Wasservögeln zog über unseren Köpfen südwärts, und von den Sümpfen um uns riefen Pfeifenten.
»Sie sind wunderschön – diese Sümpfe«, sagte sie ruhig.
»Wunderschön, aber grausam gegen Fremde«, erwiderte ich.
»Schön und grausam«, wiederholte sie verträumt, »schön und grausam.«
»Wie eine Frau«, sagte ich einfältig.
»Oh«, rief sie etwas atemlos aus und sah mich an. Der Blick ihrer dunklen Augen traf meinen, und sie schien mir verärgert oder bestürzt.
»Wie eine Frau«, wiederholte sie mit angehaltenem Atem, »wie grausam, so etwas zu sagen!« Dann, nach einer Pause, als spräche sie laut mit sich selbst: »Wie grausam für ihn, so etwas zu sagen.«
Ich weiß nicht, welche Entschuldigung ich für meine einfältigen aber harmlosen Worte vorbrachte, aber ich weiß, daß sie derart aufgebracht darüber schien, daß ich vermutete, ich hätte etwas Furchtbares gesagt, ohne es zu wissen, und mir fielen mit Schrecken die Fallstricke und Schlingen ein, die die französische Sprache für Fremde bereithält. Während ich versuchte, mir vorzustellen, was ich gesagt haben mochte, ertönte der Klang von Stimmen über das Moor, und das Mädchen erhob
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