Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
ihrer Freundin. Und wenn Rita sich über irgendetwas aufregte, verfiel sie ins Fränkische. Wenn es um Männer oder ums Älterwerden ging, schnellte ihr Blutdruck blitzartig in die Höhe, und ihr Heimatdialekt brach unwillkürlich durch. Und das geschah eigentlich laufend. Dabei hatte Rita sich den Dialekt mit großer Mühe abgewöhnt. Ihrer Ansicht nach passte er so gar nicht zu ihrer gepflegten Erscheinung.
Ja, ja, Rita. Die hatte leicht reden. Sie war wieder mal frisch verliebt, was kein besonderes Ereignis war. Schließlich war sie dauernd in irgendeinen Kerl verliebt. Für gewöhnlich hielt dieser Ausnahmezustand ein paar Wochen lang an. Dann hatte sie genug und schaltete ohne großes Zaudern zurück in den Single-Modus. Dieses Spielchen praktizierte sie seit ihrer Scheidung von Hubert vor acht Jahren, und sie schien damit glücklich zu sein. Rita pflegte nicht nur ein freundschaftliches Verhältnis zu Hubert, sondern hatte ihn auch zu ihrem Part-Time-Lover gemacht. „Für Notsituationen, denn Hausmannskost hat hin und wieder auch ihren Reiz“, hatte sie erklärt.
Kristina hatte das überhaupt nicht nachvollziehen können. Allein bei der Vorstellung, Peter nach der Scheidung noch mal näher zu kommen, überfiel sie auch jetzt das kalte Grauen.
„Du nimmst das alles viel zu ernst“, hatte Rita erwidert. „Solange du nach der großen Liebe suchst, übersiehst du all die vielen hübschen Möglichkeiten, die es sonst noch gibt. Die Männer warten doch nur darauf. Neun von zehn haben praktisch einen Henkel zum Mitnehmen. Da musst du nur zugreifen.“
Kristina wusste, dass sie damit nicht ganz unrecht hatte. Auch Justus Claussen hatte diesen Henkel. Aber was sollte sie denn machen, wenn bei ihm ihre Libido einfach nicht reagierte?
Offenbar hatte Rita es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Kristina zu verkuppeln. Sie hatte unerschöpfliche Ideen für Kontaktbörsen, die Kristina nur aufsuchen musste. Speed-Dating, Fitnessklub, Golfkurs, Fußballstadien, Kneipen, Internet. „Männer haben ihre festen Plätze“, hatte Rita ihr erklärt. „Und genau da musst du hingehen. Die findest du nicht beim meditativen Tanz, beim Pilates oder in der Damenabteilung eines Kaufhauses, sondern beim Schafkopfspielen, beim Joggen im Englischen Garten oder in der Sport- und Computerabteilung.“
Vielleicht hat sie ja recht, überlegte Kristina. Vielleicht verpasse ich bei meiner Warterei auf den Richtigen viele gute Gelegenheiten. Vielleicht bin ich überheblich, stelle zu hohe Ansprüche und benehme mich wie eine Zicke … Andererseits kam Kristina das, was sich ihr aktuell so anbot, eben tödlich langweilig vor.
Klar, da gab es ihren Nachbarn Hugo Drechsel, der nur eine paar Häuser weiter wohnte und der ein Auge auf sie geworfen hatte. Aber er war nun einmal überhaupt nicht ihr Typ: Der Kerl war schmächtig, kahlköpfig, reichte ihr gerade so bis zum Kinn und hatte noch dazu eine feuchte Aussprache. Oder Stefan Wagner, ebenfalls ein Patient, der unbedingt mit ihr ausgehen wollte. Allerdings kannte Kristina seinen Körper leider viel zu gut, und sie stand nicht auf männliche Brüste, die locker ein C-Körbchen füllen konnten, plus Bierbauch als Lendenschurz.
Aussehen ist nicht alles – die inneren Werte sind viel wichtiger, redete sie sich ein. Doch wo fing dieses ominöse Innere an? Und ganz ohne eine ansprechende Optik ging es ja auch nicht. Sie konnte sich schließlich nicht mit irgendeinem Mann treffen, nur um nicht länger allein zu sein. Nein, so groß war der Notstand nun wieder nicht. Sie würde sich auf keinen Fall dem Erstbesten an den Hals werfen oder sich ihm hoppla-hopp hingeben. Um sie sollte der Mann schon kämpfen.
Und einer kämpfte gerade mit großem Einsatz um ihre Gunst: Johannes Dermand, ein weiterer Patient von ihr. Seit Monaten wollte er sie dazu überreden, mit ihm auszugehen – oder besser noch, gleich mit ihm zu verreisen. Mit einem „No sex in the office“ hatte Kristina lachend seine durchaus charmanten Offerten abgelehnt. Das war natürlich glatt gelogen gewesen. Aber hätte sie ihm die Wahrheit sagen sollen? Dieser Verehrer hätte ihr Vater sein können! Er war zwar noch recht rüstig, aber aus der Kartei wusste sie, dass er demnächst fünfundsiebzig werden würde. Und sie sah sich nun mal nicht in der zukünftigen Rolle der Pflegerin.
Warum zum Teufel interessieren sich eigentlich nur Männer um die siebzig für mich und keine in meinem Alter?, rätselte Kristina. Sie verstand es nicht
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