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Der Gerechte

Der Gerechte

Titel: Der Gerechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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hätte man sich nie in einer Fabrik oder am Fließband vorstellen können, eher in einer Dichterstube. Aber er saß nicht in einer Dichterstube, sondern vor einem großen Fenster und schaute hinaus in die Nacht.
    In die Nacht des Schicksals…
    Es würde geschehen, diese Nacht konnte einfach nicht vergehen, ohne daß sich etwas ereignete.
    Es war sein Schicksal.
    Und wieder seufzte er auf. Wieder drang dieser klagende Laut über seine vollen Lippen, der sagen sollte, dann muß es eben passieren, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.
    Er schaute auf die Uhr.
    Noch nicht Mitternacht.
    Raniel blickte auch weiterhin in die Dunkelheit und sah die Landschaft unterteilt in verschiedene Schatten, die mal dunkler, mal heller, mal kleiner oder größer waren. Es war ein wunderschöner Blick in die Weite, den Raniel nie leid wurde. Er genoß ihn am Tage ebenso wie in der Nacht. Und wer eine so außergewöhnliche Wohnstatt sein eigen nannte, der wunderte sich auch nicht über diesen Blick, denn er gehörte einfach dazu. Kein Verkehr, keine Straßen, kein Lärm, keine Hektik. Statt dessen gab es Ruhe, Weite und Stille. Hier hatte sich die Zeit irgendwann einmal festgefroren, weil es ihr besonders gut gefiel. Auch paßte alles zu ihm. Er liebte seine Wohnstatt, er liebte seine Umgebung, und er wurde jeden Tag froher darüber, daß ihm ein hoher Gewinn in der Lotterie ein unabhängiges Leben erlaubte. Ein Leben, das sich in der letzten Zeit genau nach seinen Vorstellungen hatte wandeln können, in das er eingetaucht war wie ein Schwimmer in die tiefe See und das er nun nur noch genoß.
    Allerdings auf seine Weise, nach seinen Geboten, aber er wußte auch, daß er den bestehenden Geboten noch eines hinzufügen würde. Das seinige.
    Raniels Gebot.
    In dieser Nacht sollte es Wirklichkeit werden.
    Er stand auf und drehte sich vom Fenster weg. Neben seinem eher schlichten Bett stand die hohe Tasse mit dem Tee. Er war kalt geworden, und Raniel trank ihn in kleinen Schlucken. So handelte nur ein Mensch, der es gewohnt war, sein Leben zu genießen und auch den kleinsten Dingen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Als die Tasse leer war, stellte er sie weg und ging zu einem anderen Fenster, das nicht so groß und so hoch war. Dabei schaute er wieder auf die Uhr.
    Noch immer nicht Mitternacht.
    Er räusperte sich, drehte den Kopf und konnte einen Schatten erkennen, der rechts vom Fenster von oben nach unten fiel und von der Hauswand ein wenig entfernt war.
    Der Schatten war in Höhe des Fensters schmaler als dort, wo er den Boden berührte. Da verbreiterte er sich und glich irgendwo dem Streifen eines Kometen, ohne gekrümmt zu sein.
    Raniel wußte, wer diesen Schatten warf. Er stammte von einem Flügel, zu dem noch drei andere gehörten. Von diesem Fenster aus konnte er nicht so weit über das Land hinwegschauen, denn eine sanft aufsteigende Wand nahm ihm schon sehr bald einen Teil der Sicht. Was wie eine Wand aussah, war tatsächlich nur ein Hügel, auf dessen Kuppe sich ein glänzender Gegenstand erhob. Lang, schmal und schimmernd, eine Antenne, die Wellen verstärken wollte.
    Unsichtbare Wellen, und etwas Unsichtbares spürte Raniel ebenfalls auf sich zukommen.
    Es schwang auf ihn zu, war unterwegs, aber noch nicht so nahe, als daß er es spüren und identifizieren konnte.
    Er trug dunkle Kleidung, weil die am besten zu seinem Haar paßte. Eine dunkle Hose, eine lange Jacke, aber ein weißes Hemd, dessen Stoff in der Dunkelheit bläulich schimmerte, als wollte es die Schatten der übrigen Kleidung in sich aufsaugen.
    Raniel ging wieder zurück. Seine Schritte hinterließen auf dem alten Holzboden dumpfe Echos. Es roch etwas nach Staub und auch nach alten Steinen oder Mehl. Ein typischer Geruch, an den sich Raniel allerdings gewöhnt hatte. Wenn ihn ein Fremder besuchte, der würde ihn noch wahrnehmen, er aber nicht mehr.
    Der Mann wollte sich setzen, doch mitten in der Bewegung hielt er an. Er stoppte, blieb in der verkrampften Haltung, drehte dann den Kopf, um durch das Fenster in die dunkle Weite schauen zu können, und er wußte plötzlich, daß es jetzt passierte.
    Nein, nicht jetzt, sondern gleich, vielleicht in kurzen, wenigen Sekunden. Er ging einen Schritt vor. Dann hatte er die Scheibe fast berührt. So weit ließ er es nicht kommen. Dafür drückte er die Arme vom Körper ab und spreizte seine Hände, wobei er die Innenflächen links und rechts von seinen Schultern entfernt gegen das Glas drückte. In dieser Haltung

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