Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
nicht alleine sterben. Mein Rivale wird dein Begleiter sein. Zwei gescheiterte Existenzen auf dem direkten Weg in die Hölle. Ich höre euch beide schreien. Es ist der Gesang der Hölle, der meine Ohren und mein Herz erfüllt. Es ist gut so.
Bald schon ist es so weit.
25
Am Theater gibt es immer zwei Tote. Der erste als Folge des Geschehens, der zweite aus Vergeltung.
Die Bühne hatte sich von einer bloßen Ansammlung von Kulissen und Sängern in einen feierlichen Altar verwandelt, an dem eine geheime Messe gehalten wurde. Im Zentrum stand der Hohepriester Raimondi, der mit den Ministranten das göttliche Spiel um Lust, Eifersucht, Rache und Tod zelebrierte.
So kam es Kilian zumindest vor, als er die Aufführung betrachtete. Er hatte direkt neben Jeanne in der Nullgasse Position bezogen. Von hier aus war er eine Armeslänge von der Bühne entfernt und konnte sofort eingreifen, sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen. Im dunklen, von wechselnden Lichtstimmungen gezeichneten Hintergrund der Bühne war er nicht der Einzige. An seiner linken Seite reihten sich die Techniker mit den Händen an den Zügen wie im Spalier auf. Gegenüber, auf der anderen Seite, warteten die Sänger und Sängerinnen auf ihren Einsatz.
Zum ersten großen Applaus kam es, als Leporello seine Registerarie sang. Während Leporello der Donna Elvira die Anzahl der Frauen, die
Don Giovanni
verführt hatte, vortrug, wurden auf dem Display, das hoch über dem roten Sofa platziert war, Bilder von Frauen eingespielt. Jede einzelne in einem anderen Zustand der Verführung. Eine eindeutige Bettszene gehörte noch zu den weniger anzüglichen Aufnahmen. Man hätte gut meinen können, dass die Einspielungen vom Kiez auf St. Pauli stammten.
Dieser frühe Applaus zu einer der Arien war ein gutes Zeichen dafür, dass die gewagte Inszenierung selbst bei einem konservativen Publikum ankam. Und dieser Applaus machte den anderen Akteuren Mut.
Nicht nur ihnen. Kilian stockte der Atem, als auf der anderen Seite plötzlich Paul Batricio, Amintas ExManager, auftauchte. Er stand zwischen Steven Vanderbuilt und Kayleen McGregor. Wo zum Teufel kam er auf einmal her?, fragte sich Kilian. Und woher nahm er die Dreistigkeit, sich just zu
Don Giovanni
s und Zerlinas Duett Là ci darem la mano neben der Bühne aufzubauen?
»Wie komme ich rüber auf die andere Seite?«, fragte Kilian Jeanne.
»Den Gang entlang und dann zweimal rechts«, antwortete sie.
Kilian zwängte sich an den Technikern vorbei und landete direkt hinter der Hauptkulisse. Hier standen noch einige Mitglieder des Chors, hörten in aller Ehrfurcht der Aufführung zu. Tosender Applaus zerriss die Stille, als
Don Giovanni
und Zerlina ihr Duett beendeten. Kilian musste noch einmal nach rechts. An den langen schwarzen Lappen vorbei, die vom Schnürboden herunterhingen. Er kam zur Nebenbühne, die mit anderen Bühnenbildern nahezu voll gestellt war, wo er auf Steven Vanderbuilt traf. Vor ihm war Kayleen auf die Bühne gegangen.
»Wo ist Paul Batricio?«, fragte er leise Vanderbuilt.
Er sagte nichts, sondern zeigte auf eine Tür hinter ihnen. Eine kleine rote Leuchte mit der Aufschrift Ruhe zeigte an, dass man von hier aus die Bühne verließ und ins Innere des Theaters kam. Kilian ging weiter. Vor ihm tat sich eine weitere Tür auf, dann ein paar Stufen, wieder eine Treppe und dann ein Gang. Kilian blieb stehen. Wenn er es erneut wagen sollte, in das unterirdische Labyrinth von Türen, Gängen und Treppen vorzustoßen, dann mit einem Ortskundigen. Allein würde er sich wieder verlaufen. Um Batricio würde er sich später kümmern, sofern er nicht unvorhergesehen noch einmal in Erscheinung trat. Er machte kehrt und gelangte auf demselben Weg zurück auf die Bühne. Vis-à-vis erkannte er Jeanne. Zwischen ihnen befand sich die Bühne. Neben Jeanne war ein weiteres vertrautes Gesicht aufgetaucht. Der gefeuerte
Don Giovanni
Vladimir stand dort, verfolgte das Spiel mit steinerner Miene. Kamen sie jetzt alle aus ihren Löchern?, fragte er sich, als sich zu Vladimir auch noch Isabella Garibaldi gesellte. Was hatte diese Ansammlung der Verschmähten und Beleidigten hier zu suchen? Und noch ein drittes Gesicht erkannte Kilian auf der anderen Seite. Es war Marianne Endres, die von Raimondi geschasste Regieassistentin.
Kilian entschied sich, seine Position beizubehalten. Von hier aus hatte er alle im Blick.
Der erste Akt neigte sich dem Ende zu. Das kleine Finale mit Riposate, vezzose ragazze hatte soeben
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