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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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schlief friedlich, während Neairas Herz laut klopfte. Aus Angst, von einer der Stadtwachen Athens erkannt zu werden, trug sie einen Schleier vor dem Gesicht.
    „Es werden junge Burschen sein, die noch Kinder waren, als du Athen verlassen hast“, versuchte Kokkaline das Gemüt ihrer Herrin zu beruhigen.
    „Ich habe Väter gesehen, die ihre zwölfjährigen Söhne in Nikaretes Haus brachten. Warum sollte es in Athen anders sein als in Korinth. Dieses Fest in Chabrias Haus damals ... so etwas vergessen sie nicht so schnell.“
    Neairas Sorgen waren jedoch unbegründet. Die Stadtwachen warfen nur einen kurzen Blick in den Wagen, verlangten jedoch nicht, dass sie ihr Gesicht offenbarte. Als sie Phano sahen, zogen sie sich zurück. Sie halten mich für Stephanos Gemahlin ... für eine ehrbare Frau , dachte sie erleichtert. Stephanos lenkte den Wagen selbst, und erst als Neaira meinte, dass sie weit genug von den Stadtwachen entfernt waren, wagte sie einen Blick hinaus. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie die weißen und sauberen Häuser Athens sah. „Jetzt liegt die Traurigkeit Megaras hinter uns“, sagte sie zu ihren Sklavinnen und umarmte beide. Langsam begann Neaira Mut zu fassen, und der Verlust ihres Hauses schmerzte sie nicht mehr so sehr. Ihre Rückkehr nach Athen war friedlich verlaufen, was Thratta als ein gutes Omen der Götter deutete.
    Neaira achtete darauf, wohin Stephanos den Wagen lenkte und schwankte zwischen Erleichterung und Enttäuschung, als ihr gewahr wurde, dass sie sich weit von der Agora und dem Fuß der Akropolis entfernten.
    Stephanos hatte nicht übertrieben, was seine bescheidenen Verhältnisse betraf. Wäre er reich gewesen, hätte er im Zentrum der Polis gelebt, wo das gesellschaftliche Leben stattfand. Andererseits wäre sie dann auch sehr nah bei Phrynions Haus und den Herren ihrer Vergangenheit gewesen. Nie bist du zufrieden, Neaira , schalt sie sich selbst 397
    und zwang sich, die wehmütigen Erinnerungen an Reichtum und Wohlstand zurückzudrängen.
    Das kleine Haus, welches Stephanos gehörte, lag in einer Straße, die zu einem einfachen Viertel Athens gehörte. Neaira fand ihre hochgeschätzte Ordnung, für die sie Athen liebte, hier nicht wieder. Die Straßen waren eng, beinahe so eng, dass noch nicht einmal der Eselskarren hindurchfahren konnte, und die kleinen Häuser waren ohne Planung gebaut worden. Kreuz und quer, schräg und gerade, aneinander geschmiegt oder sich gegenseitig bedrängend buken sie in der Sommersonne. „Hier verläuft man sich noch nach einem ganzen Menschenleben“, beschwerte sie sich bei Kokkaline, während die Menschen auf jeder Seite der Straße die Türen ihrer Häuser schlossen, damit der Eselskarren vorbeifahren konnte. Das einzig Bemerkenswerte an diesem Viertel war eine Statue des Gottes Hermes, der sich zu einem Mann hinüberbeugte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Neaira fand sie rührend und tröstlich, zumal sie in der Straße stand, in welcher Stephanos’ Haus stand. Stephanos erklärte ihr, dass man deshalb die Straße auch die Straße des Flüsternden Hermes nannte. Neaira gefiel dieser Name, da er ihr Geborgenheit und Sicherheit zu verheißen schien.
    Stephanos Haus bot einen unscheinbaren Anblick im Vergleich zu jenen, in welchen Neaira in ihrem Leben gewohnt hatte – ein Lehmziegelbau, der einen kleinen säulengeschmückten Innenhof besaß, von dem die einzelnen Räume abgingen. Das Haus besaß nur ein einziges Stockwerk, und der Hof war staubig und voller Sand. Gemeinsam mit Thratta und Kokkaline stand sie im Innenhof des Hauses und starrte ihr neues Heim an. Neaira meinte, selbst in Kokkalines Gesicht die Enttäuschung sehen zu können. „Ja, mein Kätzchen“, sagte sie traurig.
    „Nun werden sich eure Rücken wieder an die harten Schlafmatten der Sklaven gewöhnen müssen ... und ich an die Enge eines einzigen Zimmers.“
    „Aber es ist ein Heim“, gab Thratta zu bedenken, die Phano an ihre Brust drückte.
    „Ja, wir dürfen nicht undankbar sein. Der Herr Stephanos ist ein freundlicher Mann.“ Kokkaline straffte die Schultern, und der Anflug ihrer Enttäuschung war verschwunden. Neaira seufzte. Warum konnte sie nicht ebenso genügsam sein wie Kokkaline und Thratta. Wie sie befürchtet hatte, erhielt sie keinen Flügel mit Frauengemächern, sondern lediglich einen einzelnen Raum für sich allein. Dieser war schmal und eng, denn Proxenos und Ariston hatten die größten Zimmer im Haus für sich.
    Jedoch verlangte Stephanos

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