Der Gesang des Satyrn
nicht auf ihr!
Ariston, der jüngere der beiden, zeigte sich mit der Zeit etwas umgänglicher, solange Proxenos nicht in der Nähe war. Neaira gewöhnte sich an die Unruhe im Haus, welche die Jungen mit sich brachten, obwohl sie ihr niemals angenehm war. Sie dankte Aphrodite dafür, dass ihr Haus groß genug war, dass Proxenos und sie sich aus dem Weg gehen konnten und dass Stephanos den Jungen immerhin verbot, Thratta und Kokkaline zu schikanieren.
Immer wieder sandte Neaira während der Zeit ihrer Schwangerschaft Kokkaline zur Agora, damit sie Einrichtungsgegenstände verkaufte. Das Geld wurde knapp, und Neaira hatte sich großzügig angeboten auch Stephanos Haushalt in Athen zu unterstützen, während er bei ihr in Megara blieb – immerhin wäre es bald auch ihr neues Heim. Es war ein seltsamer Anblick, wenn die Händler kamen, Klinen, Tische und Stühle aus ihrem Haus trugen, wobei es immer leerer wurde. Leichthin erklärte Neaira Stephanos, dass sie ohnehin die Möbel in Athen nicht würden gebrauchen können und sie das Meiste zu verkaufen gedachte, bevor sie niederkam. Innerlich tat ihr jedes einzelne Stück, das sie verkaufen musste, im Herzen weh. Es war ihr Heim, das da vor ihren Augen verschwand.
Doch ihr Bauch rundete sich immer deutlicher, und mit der Entscheidung für Stephanos und ein Kind hatte Neaira ihre einzige Möglichkeit zerstört, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Also blieb ihr nichts anderes übrig als von den Verkäufen ihres Hab und Guts zu leben. Innerlich drängte es sie, bald niederzukommen und Megara zu verlassen. In Athen würde Stephanos für sie und das Kind sorgen.
Oft betrachtete Neaira ihren angeschwollenen Leib und fuhr mit den Händen darüber. Sie fand sich aufgedunsen und hässlich, die Bewegungen des Kindes, das ihr in den Bauch trat, wenn sie nicht damit rechnete, brachten sie fast zur Verzweiflung. „Ich fühle mich als würde ich von innen heraus aufgefressen“, bekundete sie Kokkaline, die nachsichtig lächelte.
„Herrin, das meinst du nur. Nur noch wenige Tage bis zur Geburt, dann hältst du dein Kind im Arm und hast alle Mühen vergessen.“
Neaira lehnte sich auf ihrer Kline zurück, wobei sie versuchte ihren schmerzenden Rücken zu strecken. „Ich weiß nicht, Kokkaline. Ich fühle mich nicht wie eine Mutter. Ich fühle mich als hätte ich etwas Fremdes im Körper.“
Als Stephanos meinte, dass Neaira einem bauchigen Pithon ähnlicher sehe als einer Frau, platzte endlich ihre Fruchtblase. Neaira hatte gerade einen der Steine aufheben wollen, die Proxenos im Andron verteilte, da er hoffte sie würde darüber stolpern, als das Fruchtwasser aus ihr herauslief und das Kind auf einmal wie ein Stein in ihrem Becken lag. Neaira spürte deutlicher als zuvor, dass da etwas in ihr war, das nach ihrem Empfinden dort nicht hätte sein sollen. Hysterisch rief sie nach Kokkaline, während Stephanos sie in ihre Räume brachte.
Neaira meinte noch nie solche Schmerzen empfunden zu haben wie jene, mit denen sie ihr Kind gebar. Die Wehen zogen sich bis tief in die Nacht hin. Thratta wischte ihr immer wieder den Schweiß von der Stirn, während Kokkaline ihre Hand hielt. Die Hebamme, die sie gerufen hatten, war mit mürrischem Gesicht wieder abgezogen und hatte erklärt, dass es noch Stunden dauern würde, bis das Kind geboren wurde. Neaira hatte die Frau nicht gemocht, denn ihre funkelnden Vogelaugen hatten sie an Nikarete erinnert. Schließlich hatte sie Thratta und Kokkaline gebeten, die Geburt allein mit ihr durchzustehen. „Ich habe mich immer gefragt, warum die Männer über uns herrschen, obwohl es uns Frauen doch so leicht gelingt, ihren Kopf zu verdrehen“, stöhnte Neaira zwischen zwei Wehen „Aber nun ist es mir klar! Es gibt nichts was uns mehr zerstört als die Geburt eines Kindes, nichts was uns schwächer und reizloser macht. Die Geburt entstellt uns sogar mehr als das Alter. Damit beherrschen sie uns, während ihnen das alles erspart bleibt!“ Neaira war verzweifelt. Das, was da aus ihr heraus wollte, kam ihr viel zu groß vor. Es tat ihr Gewalt an – an jener empfindsamen Stelle, an der einer Frau stets Gewalt zugefügt wurde.
Schon wieder war es ein Mann gewesen, der ihr das angetan hatte!
Kokkaline versuchte, sie zu beruhigen. „Es ist bald vorbei, Herrin.“
Neaira starrte auf ihren prallen Leib. Sie war überzeugt, dass mit diesem Kind der Rest ihrer Jugend dahin war.
„Nein, dieses Kind wird mich für immer zeichnen - nicht allein
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