Der Gesang des Satyrn
nicht von ihr, dass sie sich dort vor den Augen seiner Söhne verbarg. „Ich schätze deine Klugheit und deine Schönheit. Weshalb sollte ich sie also verstecken wollen? Außerdem war es in diesem Haus viel zu lange ruhig, und die Jungen brauchen eine Mutter.“
Neaira verbarg ihre inneren Qualen. Sie bezweifelte, dass Proxenos je einen Deut darauf geben würde, was sie sagte. Sie wies Thratta an für Phano eine Amme zu suchen, da sie alles dafür tun wollte, ihren Körper wieder schlank und biegsam zu machen. „Im nächsten Jahresumlauf habe ich dreißig Jahre gelebt. Ich muss dafür sorgen, dass mein Leib nicht zu schnell verfällt, denn in diesem Alter verzeiht er Vernachlässigungen nicht mehr.“
Thratta fand eine junge Frau für Phano, die ein eigenes Kind hatte, jedoch genügend Milch um Phano ebenfalls zu stillen. Neaira, die wenig Lust verspürte sich um Phano zu kümmern, überließ Thratta die Aufgabe des Kindermädchens, und Kokkaline übernahm die Küchenarbeiten. Indes kümmerte sich Neaira darum, das vernachlässigte Haus und den Haushalt zu ordnen. Wie sie befürchtete, war es vor allem Proxenos, der sie schikanierte, wo immer es ging. Er brachte Schlamm von den Straßen in den Hof, den er nach Kokkaline warf, streckte Neaira die Zunge heraus und hetzte Ariston auf, es ihm gleich zu tun.
Eines Morgens kam Thratta aufgeregt zu Neaira und bat um ihre Hilfe. Als sie Thratta in den Hof folgte, hörte sie das Fauchen und Maunzen einer verängstigten Katze sowie das bösartige Lachen von Proxenos.
Im Hof kämpfte die junge Katze verzweifelt um ihren Schwanz, den Proxenos ihr mit einem Dolch abzuschneiden versuchte, während Ariston das beißende und kratzende Tier festhielt. Aristons Arme waren mit blutenden Kratzern übersät. Doch er wagte nicht die Katze loszulassen, weil er fürchtete, vor seinem Bruder wie ein Feigling dazustehen. Neaira hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund, als sie sah, dass Proxenos die Spitze des Katzenschwanzes abschnitt und sie triumphierend hochhielt. Das Tier schrie mitleiderregend und versuchte nun noch verzweifelter sich zu befreien.
„Hör sofort damit auf, Proxenos“, schrie Neaira ihn an.
Ariston erschrak so sehr, dass er die Katze fallen ließ, die mit einem wütenden Schrei davon rannte.
„Du Jammerlappen“, fluchte Proxenos und gab Ariston einen Schubs gegen die Schulter. Dann stemmte er die Hände in die Hüften und baute sich vor Neaira auf. „Was soll das? Jetzt ist das Vieh weg, und ich muss es wieder einfangen!“
Neaira konnte sich nicht länger beherrschen. Dieser Junge war gemeiner und grausamer als sie geglaubt hatte.
Sie entriss ihm den Dolch und schlug ihm die Spitze des Katzenschwanzes aus der Hand. „Warum tust du das, Proxenos?“
Er zuckte er mit den Schultern. „Weil es lustig ist.“
Es war ein Spiel für ihn! Zu quälen war für ihn, als würde er eine Ameise zertreten. Neaira schickte Thratta und Kokkaline, die verletzte Katze zu suchen. Als die beiden das verängstigte Tier fanden, brachten sie es Neaira.
Sie versorgten es gemeinsam unter den zornigen Augen von Proxenos. „Solltest du noch einmal ein Tier quälen, werde ich dir auch etwas abschneiden“, drohte Neaira ihm mit dem Dolch in der Hand, woraufhin Proxenos verächtlich lachte. „Das wagst du nicht, du bist nur ein dummes Weib.“
Neaira hatte genug von ihm. Sie packte Proxenos an der Schulter und hielt ihm den Dolch an den Hals. „Hör mir gut zu, du dämliches Balg! Dein Vater hat dir doch erzählt, wer ich bin. Dann weißt du auch, dass ich schon einmal getötet habe – eine Sklavin. Es wäre leicht für mich, dir Bleiweiß in deine Milch zu mischen oder mir etwas anderes für dich auszudenken.“
Endlich schien er verunsichert. „Du redest doch nur so daher.“
Neaira beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte: „Ach ja? Warum sollte es mir irgendetwas bedeuten, ob du lebst oder stirbst? Hast du es schon vergessen – ich bin nicht deine Mutter!“
Proxenos riss sich von ihr los, schlug ein paar Mal um sich und rannte davon, gefolgt von Ariston, der ihrem Gespräch mit schreckgeweiteten Augen gelauscht hatte. Im Weglaufen verfluchte Proxenos sie und nannte Neaira eine dumme Hure.
„Ich hoffe, dass er uns jetzt endlich in Ruhe lässt“, bekannte Thratta leise, als er fort war. Neaira schüttelte den Kopf. „Dieser Junge wird niemals Ruhe geben, selbst wenn er sich fürchtet. Dass er vor mir Angst hat, wird ihn nur noch wütender machen.“
Sie
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