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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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sich, die Namen der Männer, mit denen Stephanos Umgang pflegte, von ihm zu erfahren. Sie wollte herausfinden, ob er mit Herren wie Phrynion oder Chabrias verkehrte. Doch die Namen, welche er ihr nannte, waren ihr unbekannt und gehörten nicht zu den berühmten Herren der Polis. Einzig ein Name fiel immer wieder, da Stephanos sich oft über ihn beschwerte. Es gab einen gewissen Apollodoros, mit dem Stephanos ab und an in Streitfälle verwickelt wurde. „Ein unangenehmer Mensch mit einem stechenden Blick“, beschrieb er ihr diesen Mann, dem Neaira jedoch wenig Bedeutung zumaß. Viel zu sehr plagte sie die Sorge, dass sie Proxenos eines Tages grün und blau schlagen würde, weil er sie bis aufs Blut tyrannisierte ... oder dass Phrynion doch noch von ihrer Rückkehr nach Athen erfuhr.
    Nach einem Jahresumlauf in Athen, als Neaira ihren kleinen Haushalt einigermaßen geordnet hatte, griff sie unvermittelt eines Nachmittags zu einer Vase und warf sie an die Wand des Andron. Mit zu Fäusten geballten Händen stand sie da und zitterte, während Kokkaline, die einen Sklaven mit einem stinkenden Vogelkadaver vor sich hertrieb, schnell zu ihr gelaufen kam. Neaira sah dem Sklaven nach, der den Tierkadaver forttrug. Wieder einmal ein Geschenk von Proxenos! Vor gerade einmal zwei Tagen hatte er ihr eine tote Schlange ins Bett gelegt.
    Kokkaline hatte daraufhin Ameisen auf seiner nackten Brust verteilt, während er schlief. Kurz darauf war Proxenos schreiend aufgewacht. Eines musste Neaira Stephanos zugutehalten. Ebenso wie er Proxenos nicht tadelte, gab er auch dem Drängen seines Sohnes nicht nach, die Hure mit ihrer Tochter aus dem Haus zu jagen.
    Aber die Grenzen des Erträglichen waren längst überschritten, und als der stinkende Vogelkadaver an ihr vorbeigetragen wurde, starrte Neaira Kokkaline mit Augen an, in denen Mordlust loderte. „Ich muss hier raus. Ich brauche Abwechslung, sonst bringe ich Proxenos wirklich noch um!“ Seit fast einem Jahr hatte sie das Haus nicht verlassen – zumindest nicht das verwinkelte Viertel, von dem sie wusste, dass niemand ihrer alten Gönner es besuchen würde – vor allem nicht Phrynion.
    Kokkaline nickte mitleidig und schickte dann Thratta sich umzuhören, ob Neairas Name noch oft im Mund geführt wurde. Neaira wagte es nicht Kokkaline selbst zu schicken, deren Gesicht Phrynion kannte. Die Erinnerung an Phrynion versetzte ihr noch immer einen Stich ins Herz.
    Wie es die Zeit an sich hatte, deckte sie den Mantel des Vergessens über die schändlichen und unschönen Dinge und ließ die schönen Augenblicke in einem strahlenden Licht erscheinen. Immer wenn sie über ihr Leben in diesem kleinen Haus nachdachte entsann sich Neaira gleichzeitig mit Wehmut der übersprudelnden Lebendigkeit, welche die erste Zeit mit Phrynion begleitet hatte, ihrer sorglosen Verschwendungssucht und der vielen berauschenden Abende. Gemeinsam schwelgen und untergehen ... wäre es nicht besser gewesen als in diesem Haus zu vertrocknen? , zwängte sich immer öfter die Frage in ihre Gedanken. Dann schreckte Neaira auf, weil sie sich wie eine Verräterin fühlte.
    Stephanos Haus war armselig, Proxenos ein gemeiner Junge ... aber Phrynion kannte keinerlei Moral. Wie konnte es sein, dass sich diese Gedanken immer wieder in ihren Kopf fraßen?
    Während Thratta sich auf der Agora umhörte, fasste Neaira einen Entschluss, den sie bei Thrattas Rückkehr ihren beiden Sklavinnen mitteilte. „Ich muss mich endlich mit Athene aussöhnen. Aphrodite ist nicht mehr die richtige Beschützerin für mich. Ich möchte noch einmal in Athenes Tempel gehen und vor ihr knien.“
    „Das ist gefährlich, Herrin. Am Tempel der Athene trifft sich was Rang und Namen hat in der Polis. Erinnere dich an deinen letzten Besuch, an die Blicke der verbitterten Gattinnen und wie sie dich fortgejagt haben“, warnte Kokkaline, die im Gegensatz zu Thratta das Leben ihrer Herrin in Athen miterlebt hatte.
    „Ich bin jetzt nicht viel anders als sie ... auch so eine Vogelscheuche wie diese freudlosen Hausmäuse“, ereiferte sich Neaira, deren Verzweiflung aus ihr heraussprudelte.
    „Soll ich mich denn mein ganzes Leben in diesem Haus verstecken? Ich werde Phano mitnehmen und sie der Göttin zeigen. Athene muss erkennen, dass ich mich geändert habe. Ich bemühe mich mit aller meiner Kraft um Ehrbarkeit.“
    Am Abend erzählte sie Stephanos von ihrem Wunsch und erklärte ihm, wie sie einst Athene geschmäht hatte.
    Stephanos hörte sich Neairas

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