Der Gesang des Satyrn
Dann wird sie uns verkaufen. Wichtig ist nur, dass wir bis dahin einen Mann haben, der bereit ist uns von ihr freizukaufen.“ Sie bedachte Neaira mit einem ruhigen, jedoch entschlossenen Blick. „Wir müssen auch für dich einen Mann wie Lysias finden. Einen, der ein gutes Herz hat und sich in dich verliebt.“
Mit Unwillen dachte Neaira an die Männer, auf deren Kline sie Abend für Abend lag. Keinem von ihnen hätte sie allein gehören mögen, vor allem nicht Timanoridas. Und sie bezweifelte auch, dass einer von ihnen in Liebe zu ihr entbrannt war. Sie war nicht Helena von Troja - soviel hatte sie das Leben in Nikaretes Haus gelehrt. „Kennst du eigentlich Phrynion?“
Metaneira hob die Brauen und sah sie verwundert an.
„Phrynion aus Athen?“
Neaira nickte und hielt die Luft an. Wusste Metaneira etwas über ihn? Seit dem Tag ihrer Entjungferung hatte sie ihn nicht mehr gesehen, auf keinem von Nikaretes Festen.
Obwohl sie nicht wusste warum, drängte es sie danach mehr über den geheimnisvollen Mann zu erfahren. Doch Metaneira schüttelte den Kopf. „Der ist nichts für dich, Neaira. Ein Mann wie Phrynion ist zu schön, um jemand anderen als sich selbst zu lieben.“
Metaneiras Worte ärgerten sie, doch dann schob Neaira die schwermütigen Gedanken beiseite und beschloss, sich auf die Reise nach Athen zu freuen.
Nikarete ließ sich von Lysias in den überspannten Eselskarren helfen, mit dem er gekommen war, um die Mädchen abzuholen. Ein Kleiderbündel an ihre Brust drückend, bedachte sie Metaneira und Neaira mit mürrischen Blicken. Es war offensichtlich, dass Nikarete wenig Lust zu dieser Reise verspürte. Zwar war sie in einen üppig fallenden Peplos auffälliger Farbe gekleidet und ließ zusätzlich zwei vollgepackte Truhen mit Kleidern auf den Karren laden. Da sie jedoch geizig war, hatte sie darauf verzichtet eine Sklavin mitzunehmen, die sie und die Mädchen auf der Reise umsorgte. „Soll ich sie etwa einen ganzen Mondumlauf durchfüttern in Athen?“ hatte sie Lysias entsetzt geantwortet, als er Nikarete gefragt hatte, ob sie ohne Dienerschaft reisen würde.
Ihr Gesichtsausdruck war entsprechend missmutig als Lysias das Zeichen zum Aufbruch gab. Eine kleine Eskorte von berittenen Männern begleitete sie, da die Fahrt nach Athen einige Tage dauern würde. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, wurden Neaira und Metaneira immer aufgeregter und vergaßen sogar die missmutige Harpyie, die neben ihnen im Wagen saß. Mittlerweile nannten sie Nikarete nur noch bei diesem Namen, wenn sie alleine und unbeobachtet waren. Metaneira hatte ihre Freundin sogar lachend zu dieser treffenden Namenswahl beglückwünscht.
Da sie wussten, dass sie auf der Reise unter Lysias Schutz standen, beachteten sie Nikarete kaum. Immer wieder spähten sie aus dem Wagen und bestaunten das große Theater mit seiner halbrunden Tribüne, kicherten über einen Esel, der seinen Reiter abwarf, und empfanden fast jede Kleinigkeit, die sie sahen, als bemerkenswert. Als sie die Stadtmauern von Korinth hinter sich gelassen hatten, herrschte Nikarete sie an endlich Ruhe zu geben, da sie schon jetzt müde von der Reise wäre und schlafen wollte.
Die Fahrt in dem holprigen Wagen war trotz der Polster, mit denen Lysias ihn für die Frauen hatte ausstatten lassen, nicht sehr bequem. Das Unbequemste an der Reise war Nikarete, da sie an allem etwas auszusetzen hatte, ständig nörgelte und die beiden Mädchen verfluchte, wegen denen sie ihr Haus unter Idras Aufsicht hatte lassen müssen. Wie es Nikaretes raffgierigem Gemüt gemäß war, vertraute sie der schwarzen Sklavin nicht, obwohl Idras schon so lange in ihren Diensten stand, dass Nikarete behauptete nicht mehr zu wissen, wann sie Idras gekauft hatte.
Lysias kümmerte sich rührend um Metaneira, schaute ab und zu in den Wagen und fragte, ob sie einen Wunsch hätte. Stets war es Nikarete, die antwortete und Lysias mit unverschämten Forderungen nach einer weiteren Decke, einer Rast oder etwas zu Essen belästigte. Obwohl sie auf eine Sklavin verzichtet hatte, war Nikarete nicht bereit Einschränkungen in ihrer Bequemlichkeit hinzunehmen.
Lysias, dessen fortgeschrittenes Alter und bewegtes Leben ihm eine gewisse Ruhe des Gemüts verliehen hatten, erfüllte klaglos die Wünsche Nikaretes.
Erst als sie den Isthmus von Korinth erreichten, die Landenge, über die Schiffe von einem Hafen zum anderen gezogen wurden, verstummte Nikarete für eine Weile. Die großen Schiffe, teilweise
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