Der Gesang des Satyrn
richtig, dass du mir das sagst. Für solche Art von Lust muss er mehr bezahlen.“
„Ich kann kaum den Arm heben. Er wird mich totschlagen.“
Idras zuckte mit den Schultern und schlug Neaira vor, Timanoridas möglichst viel Wein einzuschenken, wenn sie das nächste Mal auf seiner Kline lag. Damit war die Angelegenheit für sie erledigt.
In ihrem Zimmer mit den blauen Wänden setzte sich Neaira auf ihr Bett und starrte die Wand an. Wenn es doch keine Wand, sondern der blaue Himmel gewesen wäre, und sie ein Vogel, der einfach hätte fortfliegen können. Doch die Wand blieb eine Wand und sie war kein Vogel, sondern Neaira, die Sklavin der Harpyie. Es kümmerte Nikarete nicht, ob Timanoridas sie totschlug oder ob sie starb. Die einzige Berechtigung ihres Lebens bestand darin, Nikaretes Geldbeutel zu füllen. Da wurde Neaira klar, dass niemand sie vor Timanoridas schützen würde, wenn sie es nicht selbst tat. Als die Tür ihres Zimmers sich öffnete, dachte sie bereits über die wenigen Möglichkeiten nach, die ihr als Sklavin gegeben waren.
„Ich habe gehört, dass Timanoridas dich auf seine Kline geholt hat – es tut mir leid, ich wollte es verhindern.
Doch was kann ich schon tun?“ Metaneiras helles Haar war unter einem Perlennetz gebändigt, und sie trug einen gelben Chiton, der viel zu unauffällig für Nikaretes Geschmack war.
„Wo bist du gestern Abend gewesen?“
Metaneiras Gesicht strahlte wie die Sonne - als hätte sie gehofft, Neaira würde sie fragen. „Ich wollte es dir bereits sagen – es gibt einen Mann, der mir ein Zimmer nahe der Agora bezahlt, wenn er in Korinth ist. Lysias aus Athen. Er behandelt mich gut und mit Respekt, fast als wäre ich seine Gattin.“
Wie konnte Metaneira mit einem derart glücklichen Lächeln über einen Mann sprechen? Neaira verstand es nicht.
„Ich muss nur noch zu Nikarete, wenn er zurück nach Athen geht. Wenn er in Korinth ist, bezahlt er für mich, führt mich aus und will mich für sich alleine. Es gibt keine anderen Männer in dieser Zeit, Neaira. Kannst du dir das vorstellen?“
Neaira konnte sich nicht vorstellen, dass Metaneira so dumm war, auf diesen Lysias hereinzufallen. Jeder Mann war ein Satyr, und jeder Mann war ein Timanoridas.
„Er ist Metöke in Athen, ein freier Fremder, aber sehr reich, und er hat so viel erlebt. Beinahe wäre er ermordet worden. Aber nun ist er ein bekannter Mann, ein Redner vor den Gerichten.“
„Du solltest dich selber hören, Metaneira! Er bezahlt für dich, so einfach ist das.“ Neaira fühlte sich betrogen von der Freundin, aber Metaneira legte ihr die Hand auf die Schulter. „Mir hätte nichts Besseres widerfahren können.
Er ist zwar alt aber gütig. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du auch einen solchen Mann findest, Neaira.“
Neaira runzelte die Stirn. Einen Mann sollte sie finden?
Hier gab es doch genügend Männer, die sie fanden - jeden Abend, immer wieder aufs Neue.
Neaira sah Lysias einige Tage später auf einem Fest in Nikaretes Haus, wo er neben Metaneira auf der Speisekline lag. Er hätte Metaneiras Vater sein können, und beinahe so behandelte er sie, mit Rücksicht und liebevoller Fürsorge.
Wie sollte die sanftmütige Metaneira jemals damit zurechtkommen, wenn Lysias sie fallen ließ? Und das, da war sich Neaira ganz sicher, würde er tun. Düstere Vorahnungen beschäftigten sie den gesamten Abend, während sie neben Xenokleides auf der Speisekline lag. Es war ein ausgelassenes Fest, auf dem die Männer sich mit zotigen Bemerkungen übertrafen. Die Sklaven huschten von einer Kline zur anderen und hatten alle Hände voll zu tun Wein nachzuschenken. Die Mädchen lachten schrill und übertrafen sich darin, den Männern zu gefallen. Neaira bemühte sich nicht darum zu gefallen, und vielleicht war gerade dies der Grund, weshalb die Männer sie begehrten.
Sie war ein Wild, das sich zu jagen lohnte – eine Beute, die erobert werden musste. Heimlich wurden den Mädchen Haarspangen oder Ringe zugesteckt, die sie vor Nikarete zu verbergen versuchten. Neaira wollte keine Geschenke, da sie wusste, dass die Augen der Harpyie überall waren.
Keines der Mädchen würde die Geschenke nach dem Fest behalten dürfen. Neaira versuchte erst gar nicht, Xenokleides schöne Augen zu machen. Er war zufrieden, Neaira ab und an auf seiner Kline zu haben, und sie war zufrieden damit, dass er nicht mehr von ihr begehrte als in der ersten Nacht. Für die ausgefallenen Wünsche der Männer bestellte Nikarete
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