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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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opfern müssen. So gebietet es der Brauch.“ Er lachte sie so freundlich an, dass Neaira wagte zurückzulächeln. Die Anspannung fiel von ihr ab. Es gab sie anscheinend doch, die freundlichen Männer. Metaneira hatte recht behalten. Lysias war freundlich, und Philostratos war Lysias Freund. Ein freundlicher Mann war eben mit freundlichen Menschen befreundet.
    Bei einem Händler kaufte Philostratos ihr eine Handvoll Datteln, die wunderbar süß schmeckten. So habe ich tatsächlich noch meine Datteln bekommen – wenn ich auch viele Jahre warten musste , dachte sie glücklich.
    Als sie den großen Tempel Athenes auf der Akropolis erreichten, hielt Neaira staunend die Luft an. Sie kam sich winzig und unbedeutend vor im Angesicht der Göttin. Die weißen Stufen und die riesige Säulenhalle, die sich vom wolkenlosen blauen Himmel abhoben, boten aus der Nähe betrachtet einen noch beeindruckenderen Anblick wie aus der Ferne. Philostratos, der Neairas Unsicherheit bemerkte, begleitete sie in den Tempel Athenes und drückte ihr einen Obolus in die Hand, den sie der Göttin opferte und klangvoll in eine Bronzeschale fallen ließ. Ein alter Priester sprach einen Segen und erlaubte Neaira dann, ihr Gebet an die Göttin zu richten. Wie weise sie wirkte, ihren Schild in der Hand und einen Kriegshelm auf dem gelockten Haar.
    Es wunderte Neaira nicht, dass Athen so schön war – wurde es doch von einer so starken Göttin bewacht. Neaira sprach ihr Gebet und dankte Athene für den schönen Tag.
    Sie ließ sich Zeit, und Philostratos drängte sie nicht, sich zu beeilen.
    Neaira fühlte sich immer wohler an der Seite Philostratos, und er schien seinerseits nicht müde zu werden ihr kleine Gefälligkeiten zu erweisen. Ab und an warf Neaira ihm verstohlene Blicke zu. Es schien ihr bei näherem Nachdenken unmöglich, dass Philostratos ihr Freundlichkeit ohne Hintergedanken entgegenbrachte. Jeder Mann, der einem Mädchen Großzügigkeit und Freundlichkeit entgegenbringt, begehrt die Freuden des Lagers mit ihm , erinnerte sie sich an Nikaretes Worte. Dies war die allererste Regel, welche die Mädchen lernten, wenn sie in Nikaretes Haus kamen. Tatsächlich hatte Neaira in ihrem Leben bisher nichts Gegenteiliges erfahren. Trotzdem blieb Philostratos der höfliche und aufmerksame Begleiter des Tages. Egal wie sie es auch drehte und wendete – sie fand nichts Falsches an ihm und seinen Absichten.
    Als die Sonne sich rot färbte, machten sie sich auf den Weg zurück zur Agora. Philostratos lächelte entschuldigend. „Deine Mutter wird sonst noch ungenießbarer sein, als sie es ohnehin schon ist. Aber ich hoffe, ich konnte dir eine Freude machen.“
    Neaira horchte auf. Jetzt würde er seine Forderungen stellen, betonen, wie freundlich er zu ihr gewesen war und darauf bestehen, dass sie ihm seine Freundlichkeit mit Gefälligkeiten besonderer Art vergalt. Doch Philostratos sagte gar nichts, schlenderte neben ihr her und schien zu grübeln. Erst nach einer ganzen Weile begann er wieder zu sprechen. „Dass ein Mädchen wie du bei einer solchen Frau leben muss.“ Das Schweigen, welches seinen Worten folgte, zeigte Neaira, wie sehr er mit sich gerungen haben musste auszusprechen, was ihm auf dem Herzen lag. „Die Tochter einer Frau zu sein, die ein solches Gewerbe betreibt.“ Beinahe väterlich fuhr er ihr über das Haar.
    „Wenigstens hat sie den Anstand mit dem schmutzig verdienten Geld ihrer Tochter Bildung zu ermöglichen. Ich war schon immer der Meinung, dass Frauen ein wenig mehr Ertüchtigung des Geistes gut zu Gesicht stünde.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. Dann wurde Philostratos wieder ernst. „Doch man darf Frauen nicht wie Männer behandeln. Sie sind nun einmal von anderer Art und müssen beschützt werden. Metaneira ist ein nettes Mädchen, aber du solltest keinen freundschaftlichen Umgang mit ihr pflegen.“ Jetzt sah er sie beinahe liebevoll an. „Ich wünschte, ich könnte dich beschützen.“
    Neaira betrachtete ihn, wie er so freundlich mit ihr sprach und sich um sie bemühte. Philostratos glaubte tatsächlich, dass sie die leibliche Tochter Nikaretes war, die leibliche Tochter einer Hurenmutter. Hätte Philostratos sie ebenfalls freundlich behandelt, wenn er die Wahrheit gekannt hätte? Neairas Gedanken rasten, als sie die Unmöglichkeit dieser Situation erfasste – eine nagende Angst, dass Philostratos erfuhr wer oder besser was sie wirklich war, kroch in ihren Verstand. Seine Freundlichkeit war wie Balsam in

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