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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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ihrem ausgedörrten Herzen – sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen.
    Neaira tanzte ausgelassen zwischen den Menschen auf dem Festplatz vor dem Tempel. Flöten und Trommeln gaben den Takt an, wurden langsamer, dann rasend schnell, und ließen die von Feierlaune trunkenen Tänzer wie Puppen an Fäden herumwirbeln. Wie konnte so etwas Schönes verderblich und schamlos sein? Es war herrlich sich treiben zu lassen, der Göttin zu huldigen und ihr Blütenkränze zu opfern. Wie eine Tiara saß der bunt geflochtene Kranz auf Neairas Kopf, während sie sich mit ausgestreckten Armen drehe. Philostratos hatte ihn ihr aufgesetzt und gesagt, sie solle für ihn tanzen. Es war ein Scherz gewesen, der Scherz eines Freundes, doch in diesem Augenblick tanzte Neaira tatsächlich nur für ihn. Immer wieder sah sie zu Philostratos hinüber, und wenn sie ihn ansah, ruhten seine Augen auf ihr, lächelten und freuten sich darüber, dass sie so ausgelassen war. Was kümmerten sie da die Blicke der verbitterten Gemahlinnen und Töchter, denen man zum Fest erlaubt hatte, die Abgeschiedenheit ihrer Räume zu verlassen und sich die Ausgelassenheit der Feiernden sittsam vom Rand des Festplatzes aus anzusehen? Was kümmerten sie die Blicke dieser nicht beachteten Gemahlinnen, denen niemand auch nur einen Blick schenkte? Sie wurde angesehen und bewundert wie eine Göttin - wie Aphrodite, deren Liebreiz man lobte. Sie war Aphrodites Tochter! Als sie endlich genug getanzt hatte und schweißüberströmt zu ihrer kleinen Gruppe zurückkehrte, folgten sie dem Zug und feierten den zweiten Tag der eleusinischen Mysterien, an dem die Mysten zu fasten begannen und Lieder zu Ehren der Götter zu singen. Ab Abend ließ Neaira sich von den entfachten Opferfeuern vor den Tempeln berauschen.
    Philostratos wich kaum von ihrer Seite - ganze fünf Tage lang.
    Als sich der bunte Zug nach den ausgelassenen Festtagen endlich am sechsten Tag nach Eleusis aufmachte, wo die Mysten ebenso wie die trauernde Demeter einen Trank namens Kylon zu sich nahmen und dann von einem Oberpriester und einer Hohepriesterin ins Innere des Tempels geführt wurden, hatte Neaira so viele Eindrücke gesammelt, dass sie ein Leben darüber hätte nachsinnen können. Sie fühlte sich erschöpft und müde, jedoch auch glücklich wie noch nie in ihrem Leben.
    Metaneira strahlte wie die Göttin selbst, als sie in ihre neuen Gewänder gekleidet den Tempel verließ, ein Lächeln auf den Lippen. Neaira wagte kaum die Freundin anzusprechen, so viele Geheimnisse schienen Metaneira zu umgeben. Sie wartete, dass Metaneira zu erzählen begann, was sie erlebt hatte, doch sie schwieg und machte keine Anstalten, etwas zu verraten. Nur mit Mühe gelang es Neaira, nicht sofort auf sie einzureden. Doch dann überwog ihre Neugierde. „Was hat dir Demeter offenbart?“
    Metaneira legte lächelnd den Finger auf die Lippen. „Es ist nicht erlaubt darüber zu sprechen, und selbst wenn es das wäre, könnte ich es dir nicht erklären. Vielleicht wirst du eines Tages auch die Weihen durchlaufen.“
    Ein wenig enttäuscht gab sich Neaira mit der Antwort zufrieden. Wie hatte sie auch nur einen einzigen Augenblick glauben können, dass ihre verschwiegene Freundin die Geheimnisse der Weihen preisgab.
    Philostratos, der ihre Enttäuschung bemerkte, versuchte sie zu trösten. „Vielleicht wirst im nächsten Jahr du an der Reihe sein und die Einweihung durchlaufen. Ich lade dich gerne als Gast in mein Haus ein, und vielleicht erlaubt deine Mutter, dass ich dir eine Einladung ausspreche.“ Philostratos letzte Worte hatten Nikarete gegolten, die ihn scheinheilig anlächelte.
    Neaira hätte glücklich sein sollen. Wir müssen auch für dich einen Mann wie Lysias finden, einen mit einem guten Herzen , klangen die Worte Metaneiras in ihrem Kopf nach. Hier stand er und sah sie mit echter Wärme an. Auch wenn sie ein Kind für ihn war – irgendwann wäre sie eine Frau.
    Überrascht stellte Neaira fest, dass ihr der Gedanke daran nichts ausmachte.
    Die funkelnden Harpyienaugen holten sie in die Wirklichkeit zurück. Sie war unvorsichtig gewesen, hatte zu viel Freude gezeigt. Nikarete wusste, woran sie dachte.
    Schnell bemühte sich Neaira um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. Doch es war zu spät – sie konnte sehen, wie Nikarete sie aus den Augenwinkeln beobachtete, die Brauen hochgezogen, die Lippen zu einem unmerklichen Lächeln verzogen.
    „Das nächste Jahr ist noch weit entfernt.“ Neaira hoffte, dass

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