Der Gesang des Satyrn
Philostratos ihre kühle Antwort nicht falsch verstehen würde, doch er schien gar nicht zu bemerken, dass sie sich zurückzog. Lachend klopfte er Lysias auf die Schulter und lud sie in sein Haus zu einem abschließenden Festmahl ein.
Als Lysias sich mit Metaneira zurückgezogen hatte, gab sich Nikarete Philostratos gegenüber freundlich. Sie umschmeichelte ihn, lobte das köstliche Mahl und seinen guten Geschmack. Philostratos bedankte sich höflich, machte jedoch keinerlei Anstalten, das Gespräch in eine für Nikarete interessante Richtung zu führen. Als sie bemerkte, dass sie mit ihrem Vorhaben auf diese Art nicht weiterkam, entschloss sich Nikarete dem ihrer Meinung nach beschränkten Mann auf die Sprünge zu helfen. „Du hast ein sehr schönes Haus, edler Philostratos. Doch es erscheint mir furchtbar leer. Sehnst du dich nicht nach einer Frau?“
„Ich bin noch zu jung, um mir eine Frau ins Haus zu holen, Herrin Nikarete.“
Nikarete gab nicht auf. Wie ein Raubtier schlich sie sich an ihr Opfer heran. „Sicher, mein guter Freund, doch das heißt ja nicht, dass dein Bett leer bleiben muss. Ich meine gesehen zu haben, dass dir meine Tochter gefällt.“
Neaira schloss die Augen, als ihr klar wurde, was Nikarete beabsichtigte. Gleich würde das Verhängnis seinen Lauf nehmen. Sie wäre gerne unter den Tisch gekrochen und hätte sich die Ohren zugehalten.
„Ich verstehe nicht, was du meinst. Deine Tochter ist mir ins Auge gefallen. Tatsächlich habe ich darüber nachgedacht, sie nach Athen zu holen. In ein paar Jahren!
Ich darf als Metöke nicht heiraten, doch ich würde sie behandeln wie eine Gattin, und es würde ihr an nichts fehlen.“ Er lief rot an, da es ihm ungehörig erschien in Anwesenheit Neairas über sie zu sprechen.
Nikarete lächelte amüsiert. „Zu viel Ehre für ein Mädchen wie sie, edler Philostratos. Du brauchst dich nicht zu gedulden. Neaira ist bereits jetzt sehr beliebt bei den Herren, und da du uns so freundlich in deinem Haus empfangen hast, überlasse ich sie dir die ganze Nacht zu einem günstigen Preis ... sagen wir fünfhundert Obolen für die Nutzung aller drei Öffnungen ihres Leibes. Warum willst du warten, wenn du jetzt schon alles haben kannst?“
„Aber sie ist doch noch ein Kind ... und zudem deine Tochter!“ Philostratos Kopf lief rot an. Er war unfähig, sich gegen die redegewandte Nikarete zur Wehr zu setzen.
„Lass dich doch nicht von ihren scheuen Blicken täuschen, edler Herr. Alle meine Mädchen sind meine Töchter, auch Metaneira. Neaira ist aber um einiges geschickter als Metaneira und versteht es dir Freuden zu bereiten, von denen du nicht ahnst, dass es sie gibt.“
War das Abscheu in seinem Gesicht, Ekel ...
Enttäuschung? Neaira sah es mit Schrecken und Kummer.
Mitleid wäre schlimm gewesen, sein Schweigen schmerzhaft, aber das, was sich nun in Philostratos Gesicht zeigte, war unerträglich. Warum konnte er nicht sehen, dass sie noch immer die war, mit der er den Tempel Athenes besucht hatte? Sie hatte sich nicht verändert in diesen fünf Tagen. Wie gerne hätte sie es ihm bewiesen und ihm gesagt, dass er nicht aufhören sollte sie so anzusehen, wie er sie die ganzen vorangegangenen Tage angesehen hatte; aber sie schwieg voller Scham.
„Morgen verlasst ihr mein Haus!“ Philostratos Worte waren eindeutig. Dann stand er vom Tisch auf und ging.
Neaira sah ihm nach und beobachtete, wie ihre Hoffnungen und Träume ihr den Rücken zuwandten.
„Was für ein fader und freudloser Mann.“ Nikarete konnte nicht verstehen, was gerade geschehen war.
„Er ist nicht fade! Seine Freude gilt anderen Dingen. Er ist ein anständiger Mann!“ Wie um sich selbst zu rechtfertigen, verteidigte Neaira ihn.
„Unsinn! Dieses endlose Geschwafel über diese wundervolle Polis und die ach so große Athene hat mich ermüdet. Soll er zum Tartaros gehen, dieser langweilige Dummkopf. Ich bin froh, dass wir morgen endlich aus diesem Haus verschwinden können. Athen ist mir ein Gräuel – was muss man hier tun, um etwas Geld zu verdienen und sich zu amüsieren?“
Neairas Hass und Abscheu überwältigten sie. Wie oft würde Nikarete ihr noch alles Schöne und Gute, was ihr im Leben widerfuhr, verderben? Obwohl sie es nicht wollte, sprudelten die Worte aus ihr heraus. „Ja, in Athen würdest du arm werden, denn hier legt man Wert auf Feinfühligkeit und Eleganz, was beides nicht zu deinen Stärken zählt.“
Ungläubig riss Nikarete die Augen auf und sah dieses
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