Der Gesang von Liebe und Hass
verwundert.
»Deine Stimme hat sich verändert und das, was du sagst.«
»Also gut«, sagte Maria, »ich bin befreit worden von einem Deutschen, der in den Internationalen Brigaden gekämpft hat. Er heißt Brenski. Er hat schon viele Berufe gehabt, unter anderem war er Messerwerfer in einem Zirkus. Sein Vater war ein glühender Sozialist.«
»Und was ist Brenski für dich?«
»Alles«, sagte Maria.
»Aber?«
»Später, als ich mit ihm und den Partisanen unterwegs war, Männern aus den Bergen, du weißt schon, da kamen die Nacionales und haben mich vergewaltigt. Er konnte mir nicht helfen, weil er auf einer Mission unterwegs war. Und dann schnappten uns die Internacionales, und sie nannten ihn einen Deserteur, und mich steckten sie auch ins Gefängnis. Warum sie mich schließlich laufen ließen, weiß ich nicht. Was aus Brenski wurde, auch nicht. Aber er konnte mich nicht mehr berühren, verstehst du? Ich war ganz fremd für ihn geworden, und ich wollte auch fremd für ihn sein. Ich wollte, daß er mich haßt. Aber ich bekomme sein Kind.«
»Du bist sicher?«
»Ich hoffe, daß ich mich nicht irre.«
»Ich hoffe es auch«, sagte ihr Vater. Er beugte sich vor und nahm ihre Hände. »Du lebst. Du siehst gesund aus. Du wirst dein Kind zur Welt bringen.«
»Aber vielleicht nicht in diesem Haus?«
»Ich bestimme in diesem Haus.«
»Mutter ist manchmal stärker als du. Das weißt du doch.«
»Ja, manchmal. Aber nicht in diesem Fall. Nicht, wenn es um dich geht.«
Er ließ ihre Hände los, lehnte sich in seinen Armstuhl zurück. Sein Blick verließ sie, schweifte durch die Halle, an deren Wänden die Porträts seiner Vorfahren hingen.
»Ich möchte, daß du tust, was du für richtig hältst«, sagte er. »Wenn du mir erlaubst, dir dabei zu helfen, werde ich es tun.«
»Ich will darüber nachdenken.«
Er nickte, und sein Blick kehrte zu ihr zurück.
»Versuche, das Böse zu vergessen, das du erlebt hast. Versuche, an die guten Menschen zu denken, die du getroffen hast.«
»Ja, Vater, ich werde es versuchen.«
Mit einemmal war sie sehr müde, und sie sagte es ihm. Er brachte sie zu ihrem Zimmer. Er half ihr, sich auszuziehen, und deckte sie zu. Er löschte die Kerze auf dem Nachttisch, die er zuvor angezündet hatte, und öffnete das Fenster weit.
Und erst jetzt roch sie den tausendfachen Blütenduft ihrer Heimatstadt Córdoba. Ein Geruch, der immer diese Stadt umgab, ob es im Frühling war oder schon im Herbst wie jetzt.
Der nächste Tag war die Hölle, wie ihr Vater es vorausgesagt hatte.
Die drei Tanten umlagerten sie, alten, gierigen Hündinnen gleich, die selbst nicht mehr jagen können und nach jedem Bissen Fressens schnappen, den sie erreichen können; ihre beiden Schwestern waren wie zu junge Hündinnen, denen die Trächtigen das erlegte Wild zuerst verwehren, weil sie an ihren Nachwuchs und die Kraft, die dieser braucht, denken.
Den Tanten hatte ihre Ehelosigkeit das Leben verwehrt, ihren Schwestern, die vollbusig und sternäugig waren, der Krieg.
Sie waren keine Mädchen, die man alleine auf die Straße entließ; und selbst wenn man es getan hätte, kein Soldat, kein Milizmann hätte sie angesprochen und untergehakt.
Sie fragten wispernd und kichernd und sich mit ihren Spitzen- und Elfenbeinfächern Kühle zufächelnd, nach Einzelheiten.
Und Maria Christina, von einem bösen, wilden Spott erfaßt, schmückte ihre Erlebnisse aus. Die Marokkaner waren wie die wildesten Stiere, ja, es stimmte schon!
Die Tanten ohten und ahten, ihre Schwestern öffneten ihre Münder zu roten Mäulern, in denen die rosigen Zungen zuckten, sich die Lippen zu lecken.
Die Dienstmädchen strichen um den Damenkreis herum, mit geröteten Ohren vor dem straff zurückgekämmten, schwarzen Haar unter den knappen, weißen Hauben.
Maria Christina fütterte sie mit den Leckerbissen ihrer wollüstigen Fantasie, würzte sie mit Gefahren und mit dem Tod.
Leichenteile hatte sie gesehen? Einen abgetrennten Kopf? Abgeschnittene Geschlechtsteile, natürlich.
Bis sie gewahr wurde, daß auch ihre Mutter von der ersten Galerie her lauschte.
Da verstummte Maria Christina, stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Patio.
Sie ging in ihr Zimmer, legte sich auf ihr Bett.
Sie schloß die Augen.
Sie war so erschöpft wie in all den Wochen ihrer einsamen Flucht nach dem Gefängnis nicht.
Sie weinte um Brenski, den sie verloren glaubte, um das Kind, das sie in sich trug, und um sich selbst, die sich nicht mehr
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