Der Gesang von Liebe und Hass
Christina, »und du hast Einfluß in Córdoba schon durch deine Bank. Und wie dich gibt es nicht wenige in allen Städten dieses Landes. Warum habt ihr diesen Krieg nicht verhindert?«
»Ich habe diesen Krieg nicht gewollt«, sagte ihr Vater, »und ich habe nicht zu seinen Vorbereitungen beigetragen. In keiner Weise, das weißt du, denn du warst alt genug, es zu sehen, bevor du ins Kloster gingst.«
»Verzeih, Vater«, sagte Maria Christina. »Ich frage mich eben nur, warum aufrechte und einflußreiche Männer wie du nicht schon die Wurzeln des Krieges bekämpft haben? Habt ihr denn nicht die unglaubliche Bedürftigkeit der Armen, der nichts Besitzenden, der Klassenlosen gesehen? Oder habt ihr die Augen verschlossen?«
»Wie eine Revolutionärin«, sagte ihre Mutter.
»Ich habe bloß Nacionales und Internacionales kennengelernt«, sagte Maria Christina und drückte die Zigarette halbgeraucht aus.
»Wenn du müde bist«, sagte ihre Mutter, »geleite ich dich …«
»Nein, ich bin nicht müde. Ich bin hellwach. Ich möchte in die Flammen schauen und denken, daß darin keine Menschen verbrennen und daß sie uns nur wärmen. Ich möchte mir wünschen, daß ich wieder hier leben könnte, vergessen könnte, so, als sei nichts geschehen.«
»Du willst hierbleiben?« fragte ihre Mutter.
Maria Christina sah sie an. »Wie meinst du das?«
»Nun, ich hoffe natürlich, daß du einige Tage und vielleicht Wochen bei uns bleiben darfst, wenn der Orden dir die Erlaubnis erteilt, damit du dich von den Strapazen deiner Flucht erholen kannst. Aber …«
»Maria Teresa«, sagte Sebastián scharf.
»Ja, mein Lieber?«
»Du wirst Maria Christina tun lassen, was sie für richtig hält. Sie selbst wird entscheiden, ob sie bei uns bleiben möchte, wieder in ihren Orden zurückkehren oder aber dieses verfluchte Land verlassen will.« Er wandte sich seiner Tochter zu. »Ja, das könnte und würde ich arrangieren. Ich weiß, wie wohl du dich in Paris gefühlt hast. Du könntest dort die Universität besuchen und Romanistik studieren, wie du es dir einmal gewünscht hast.«
»Du willst sie allein in ein fremdes Land ziehen lassen?« fragte Maria Teresa ungläubig.
»Ich will gar nichts. Unsere Tochter wird sich entscheiden.«
»Danke, Vater«, sagte Maria Christina.
»Du dankst ihm, weil er sich der Verantwortung für dich entzieht«, sagte ihre Mutter bitter.
»Nein, Mama. Weil er mich versteht.« Maria Christina stand auf und trat an das Fenster, blickte in den dunklen Hof hinab, in dem blaß unter dem Sternenlicht die vielen blühenden Geranien und Begonien zu ahnen waren.
»Ich weiß noch nicht, was ich tun werde, tun muß.«
»Dein junger Amerikaner hat uns aus Paris einen sehr liebenswürdigen Brief geschrieben«, sagte ihr Vater. »Es tat ihm leid, daß er nicht zur verabredeten Zeit zu uns kommen konnte. Aber seine Zeitung hatte ihn nach New York zurückgerufen, und er nahm an, daß er dann hierher an die Front gesandt würde als Kriegsberichterstatter. Möchtest du den Brief jetzt lesen?«
»Nein, danke, Vater.« Und sie dachte: Wie sah Burton aus? Wie klang seine Stimme? Die Pariser Frühlingsliebe war so blaß wie die Blüten in der Nacht.
»Ich habe lange nicht mehr an ihn gedacht. Ich habe ihn vergessen«, sagte sie.
»Du siehst so müde aus«, sagte ihre Mutter, »wirklich, Kind, du solltest schlafen gehen.«
»Um wach zu liegen?«
»Dann werde ich euch allein lassen«, sagte ihre Mutter, und es klang verletzt.
»Schlaf gut, und mach dir keine Sorgen«, sagte Maria Christina. Doch sie machte keine Anstalten, zu ihrer Mutter zu gehen und ihr, wie sie es früher getan hatte, einen Gutenachtkuß zu geben.
Ihr Vater küßte ihrer Mutter die Hand. Dann ging Maria Teresa stumm hinaus.
»Gibst du mir noch eine von deinen Zigaretten?« fragte Maria Christina. »Und trink ein Glas Wein mit mir, bitte.«
Er nickte, und dann lächelte er. »Du hast dich sehr verändert.«
»Du überhaupt nicht.«
»Ein bißchen schon, immerhin bin ich auch drei Jahre älter geworden.«
»Ich auch.«
Sie lachten sich an.
Er hob sein Glas. »Auf dich!«
»Und auf dich, Vater!«
Sie tranken sich zu.
»Morgen wirst du Schlimmes durchzustehen haben«, sagte er dann. »Deine Schwestern und Tanten brennen nur darauf, von dir zu erfahren, wie es im Kloster war und wer dich befreit hat, und von deiner Flucht.«
»Woher weißt du, daß ich aus dem Kloster befreit wurde und nicht einfach fortgelaufen bin?« fragte sie
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