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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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entkommen? War es nicht entsetzlich? Wir dachten, du seist tot. Wir haben für dich gebetet. Und dein Vater wollte zum Kloster reisen, und wäre es nur, deinen Leichnam zu bergen! Aber er hat gewartet, und er hat recht behalten!«
    Sie hörte sie alle und sah sie alle und dachte: Wie könnt ihr so daherreden? Wie könnt ihr nur so daherplappern, selbst du, Mutter?
    Aber sie fragte nur: »Wo ist Frederico?«
    »Fort«, sagte ihre Mutter. »Er wollte nicht untätig bleiben. Er wollte kämpfen.«
    »Auf welcher Seite?«
    »Frag uns das nicht«, sagte ihre Mutter. »Es ist besser so.«
    »Und Chico, mein Spaniel?«
    »Wir brachten ihn auf die Finca.«
    »Warum?«
    »Hier biß er jeden, und er wollte keine Nahrung mehr zu sich nehmen.«
    »Also ist er tot.«
    Niemand antwortete.
    Maria Christina hob ihren Kopf und sah zur ersten Galerie des Hauses hinauf, und dort stand jetzt ihr Vater, sich mit einer Hand auf die schmiedeeiserne Balustrade stützend.
    Und da war es, als springe etwas in ihr auf, da war wieder die wilde Sehnsucht des vergangenen Tages, und sie schob alle, die sie umringten, zur Seite und lief zu ihm die Treppe hinauf.
    Er stand ganz still, und unter den dunklen, breiten Brauen konnte sie seine Augen nicht erkennen.
    Aber sie sagte: »Vater, ich bin heimgekehrt.«
    Er breitete stumm die Arme aus, und sie drückte sich an ihn, und er hielt sie lange fest.
    »Du wirst Hunger haben«, sagte ihre Mutter schließlich, dicht hinter ihr, »und du wirst müde sein. In wenigen Minuten wird alles für dich bereit sein.«
    »Ich möchte heute abend nur mit euch allein sein«, sagte Maria Christina – und meinte: nur mit dir, Vater.
    »Es wird geschehen«, sagte ihre Mutter, und dann rief sie ihre Anweisungen in den Patio hinab, und Sebastián führte seine Tochter ins Haus.
    Sie saßen vor dem flackernden Kaminfeuer der hochgewölbten Halle. Annunciata hatte Brot und Käse und Feigen gebracht und zum Kaffee heiße, kleine Brötchen mit Erdbeerkonfitüre gefüllt; sie mußte sie in Windeseile gebacken haben.
    Ihre Eltern hatten Maria Christina beim Essen zugeschaut und sie genötigt, nur ja kräftig zuzulangen, so mager wie sie sei.
    Bald werde ich nicht mehr mager sein, hätte sie am liebsten gesagt, bald werde ich einen so dicken Bauch haben, daß ihr staunen werdet.
    Aber sie bat nur um ein Glas Wein.
    Ihr Vater schenkte ihr ein, und sie trank das Glas in langen, genußvollen Zügen leer. Dann hielt sie ihm den Kristallbecher wieder hin, fing einen Blick auf, den ihre Eltern wechselten, lachte und sagte: »In vielen Ortschaften, in denen ich war, gab es keine Milch mehr, weil die Soldaten die Kühe und Ziegen weggetrieben oder geschlachtet hatten. Aber Wein gab es überall.«
    »Du mußt uns alles erzählen«, sagte ihr Vater, »aber wir wollen dich nicht bedrängen. Laß dir Zeit.«
    »Warum habt ihr Frederico gehen lassen?«
    »Weil wir ihn nicht länger zurückhalten konnten«, sagte ihre Mutter. »Wir haben ein sehr mitfühlendes und liebenswürdiges Schreiben der obersten Mutter deines Ordens aus Avila erhalten. Sie schrieb uns, wie sehr du im Kloster geschätzt warst. Nur Lobendes habe sie stets über dich erfahren.«
    Maria Christina trank jetzt langsamer von ihrem Wein, sie schlug die Knie übereinander, was sie früher in Anwesenheit ihrer Eltern nie gewagt hätte, und dann bat sie ihren Vater um eine Zigarette.
    »Bist du sicher …« Ihre Mutter verstummte.
    Und wieder lachte Maria Christina, denn sie wußte plötzlich, daß sie diese Dinge nur tat, um ihre Grenzen zu erfahren. Wie weit konnte sie gehen, was alles tun?
    Ihr Vater bot ihr von seinen Zigaretten an. Der Tabak wuchs auf der Finca und wurde dort auch bearbeitet; ein alter Mann in der Gasse der Färber drehte die Zigaretten für ihren Vater und andere Herren der Stadt.
    Maria Christina betrachtete die Zigarette, das feine Papier, das goldene Mundstück, die Initialen ihres Vaters.
    »Wie im Frieden«, sagte sie, »deine eigens für dich gedrehten Zigaretten, Wein aus unseren Weingärten, Erdbeerbrötchen, deren Teig nach Butter schmeckt. Kaffee, der nach Brasilien duftet.«
    Ihre Mutter senkte die Augen. »Wir darben nicht. Aber man muß haushalten können. Und heute ist ein Festtag, weil du zurückgekehrt bist.«
    »Ich weiß, Mutter.«
    »Wir alle hassen diesen Krieg«, sagte ihr Vater, »und wie immer er auch ausgehen mag, ich wünschte, er wäre schon heute zu Ende.«
    »Du stammst aus einem alten Geschlecht dieser Stadt«, sagte Maria

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