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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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sie würden aus diesem steinernen Wald nicht mehr herausfinden, aber ihr Vater hatte sie stets in die Kathedrale im Inneren der Moschee geführt, und sie beide waren niedergekniet und hatten ein Vaterunser gesprochen, und stets hatte Maria Christina eine Kerze anzünden und sich etwas von Gott erbitten dürfen.
    Sie bat um einen kleinen Hund, und bald darauf bekam sie ihren ersten Spaniel geschenkt; sie bat um ein paar rote Lackschuhe, die sie an einer Schulfreundin bewundert hatte, und bald trug auch sie rote Lackschuhe. Später bat sie um andere Dinge; daß ihre Mutter gesunden würde, als sie an einem heftigen Nervenfieber erkrankte, in jenem Jahr, da ihr Vater das Mädchen Elvira liebte; und wieder später bat Maria Christina, daß sie einmal einen Mann finden und lieben würde, einen Mann wie ihren Vater.
    Sie hatte einen solchen Mann gefunden und wieder verloren. Sie hatte ihn geliebt und war nun ganz sicher, daß sie sein Kind erwartete. Reglos stand sie unter den Säulen, die Arme um sich selbst gelegt, denn sie fror, obwohl es gar nicht kalt war.
    Weiter vor sich, sehr fern, sah sie das Licht von Kerzen und den ewigen roten Lampen, und sie roch den schweren Duft von Weihrauch und hörte das auf- und absteigende Gemurmel von Gebeten.
    Sie lauschte und senkte den Kopf und schloß die Augen und versuchte, sich in die Gebete hineintragen zu lassen, aber es gelang ihr nicht. Und schließlich wandte sie sich um und verließ die Moschee, ohne die Kathedrale betreten zu haben.
    Sie war kein Kind mehr an der Hand seines Vaters, sie war keine Novizin mehr auf der strengen Schwelle der ewigen Gelübde, und sie war nicht mehr Brenskis Geliebte.
    Erst als sie die Moschee verließ, wurde sie gewahr, daß um sie her reges Treiben herrschte; sie sah viel Militär und viel Miliz und, wenn Türen von Weinstuben oder Gaststätten aufschwangen, so sah sie, daß sie überfüllt waren. Auch viele junge Mädchen waren auf der Allee der Orangenbäume unterwegs, sie gingen untergehakt in bunten Sommerkleidern, und in der spärlichen Straßenbeleuchtung waren ihre Gesichter mit dunkelroten Mündern und schwarz ummalten Augen als lebensgierige Masken zu erkennen.
    Sie sah zu, wie sich zwei Mädchen von zwei Soldaten ansprechen ließen, sie hörte das halb verlegene, halb übermütige Lachen der jungen Männer und das Kichern der Mädchen. Dann hakten die Mädchen die Soldaten unter und gingen mit ihnen davon.
    Das schmiedeeiserne Tor ihres Elternhauses war schon geschlossen, als Maria Christina davortrat.
    Aus der Mauernische dahinter knurrte ein Hund sie an, und seine Kette klirrte, während er sich witternd aufrichtete.
    »Ich bin es doch nur, Bianco«, sagte sie, »ich, Maria Christina.«
    Aber der Hund war nicht weiß, sondern braungelb gefleckt, und er fegte aus der Mauernische hervor und verbellte sie.
    Maria Christina wich einen Schritt zurück, sie wagte nicht, die Hand nach der Messingglocke auszustrecken.
    Aber da gingen schon im Innenhof Lichter an. Eine resolute weibliche Stimme rief: »Wer ist da? Die Herrschaft hat sich schon zurückgezogen!«
    »Leonor, ich bin es, ich, Maria Christina!« rief sie über das Bellen des Hundes hinweg.
    Und da kam Leonor schon angelaufen, dicker geworden, aber geschwind wie immer.
    Sie scheuchte den Hund zurück in die Mauernische, verkürzte seine Kette, wand sie um den runden, schwarzen, eisernen Block, der dafür bestimmt war, lachte und schluchzte und ließ Maria Christina ein und umarmte sie und tastete sie ab, ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Schultern, ihre Arme, berührte die Brüste und den Bauch und umarmte sie wieder und rief: »So hört doch, so hört doch! Unsere Maria Christina ist leibhaftig da!«
    Sie schloß das Tor wieder ab, dann zog sie Maria Christina in die Mitte des Patios, und von der ersten Galerie kamen sie nun herunter, allen voraus ihre Mutter, dann ihre Schwestern, die drei Tanten und die Köchin, es war noch Annunciata, zwei Zimmermädchen und die alte Amme ihrer Mutter, schon weit über achtzig, aber immer noch aufrecht und ehrfurchtgebietend anzusehen.
    Und sie alle weinten und lachten und umarmten Maria Christina, und sie stand unter ihnen und empfand nichts.
    Sie dachte ganz kühl, ganz klar: Ihr alle habt mich vor drei Jahren gehen lassen. Niemand von euch hat mich zurückgehalten, niemand von euch sich dagegen gewehrt, daß ich für Juan büßen sollte.
    »Wie ist es dir ergangen? Wo kommst du her? So braungebrannt bist du! Wie bist du dem Massaker im Kloster

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