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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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erkannte.
    Gegen Abend kam der Beichtvater ihrer Familie. Er hielt ihre Hand und sprach all die guten Worte, die in jedem Glauben zu finden sind, aber sie sah, daß die Tür ihres Zimmers nicht ganz geschlossen war, und sie wußte, daß dahinter ihre Mutter stand.
    Sie konnte nicht beichten, sie konnte keine Sünden gestehen.
    »Sage mir, was dir geschehen ist, meine Tochter.«
    »Nichts, was nicht Tausenden von anderen Frauen auch geschehen ist und noch geschieht.«
    »Ich werde für dich beten.«
    Don Ignatius machte das Kreuzzeichen auf ihrer Stirn.
    Annunciata brachte ihr einen Tee, der süß und bitter zugleich schmeckte, danach schlief sie.
    Der zweite Tag war kaum besser als der erste, Maria Christina fühlte sich beobachtet, belauert im ganzen Haus; nur ihren Vater nahm sie davon aus.
    Er hielt sich in seinem Studierzimmer auf, und als sie zu ihm ging, fand sie ihn über eine Karte Amerikas gebeugt.
    »Was suchst du?« fragte sie.
    »Ich habe mir Boston auf der Karte angeschaut und ein wenig darüber nachgelesen.«
    »Ich will nicht mehr zu Burton nach Boston, Vater. Selbst wenn Burton in diesem Augenblick hier einträte.«
    »Wo willst du hin, Maria Christina?«
    »Nach Santiago de Compostela.«
    »Was suchst du da?«
    »Wir haben doch Onkel Avram dort. Und auch El Corazón war einmal da, und er hat mir gesagt, daß man immer wieder dorthin zurückkehren müßte, wenn man einmal dort war. Brenski weiß von Onkel Avram. Und ich bin sicher, daß er nach Santiago gehen würde, wenn er könnte – nicht nach hier.«
    »Ja, wenn er könnte. Aber er ist als Deserteur verhaftet worden.« Ihres Vaters Augen blickten sie zweifelnd und tröstend zugleich an. »Glaubst du denn, daß er noch lebt?«
    »Ja. Ich spüre es. Wenn dem nicht so wäre, hätte mein Leben keinen Sinn mehr.«
    Ihr Vater schwieg eine Weile lang bedrückt, dann fragte er: »Willst du, daß ich dich begleite?«
    »Nein, Vater. Ich kann gut allein zurechtkommen. Das weißt du doch.«
    »Ja, das weiß ich.«
    Sie lächelte ihn an. »Du mußt auch daran glauben.«
    Er nickte.
    »Fürchte nichts für mich«, sagte sie. »Bitte, denk daran, ich werde auf mich aufpassen, aber bitte versteh auch, ich kann nicht hierbleiben, nicht jetzt. Bei Onkel Avram in Santiago de Compostela werde ich ruhig schlafen können.«
    »Und wenn Brenski hierher kommt?«
    »Wirst du ihn zu mir schicken.«
    »Und Burton?«
    »Nicht Burton.«
    Ihres Vaters Hände umfaßten ihre Schultern, zogen sie an sich.
    »Ich weiß, du wünschst für mich Sicherheit«, sagte sie, »aber es kann nur Unsicherheit geben und das vielleicht noch monatelang. Danach – ich werde dir schreiben.«
    »Wenn der Krieg aus ist –«
    »Wenn der Krieg aus ist, werden wir weder klüger noch dümmer sein.« Sie trat einen Schritt zurück und lächelte ihren Vater wieder an. »Weißt du, du schaust mich an wie Brenski, als er zum erstenmal mein rotes Haar sah. Er lachte sogar. Ich bin deine Tochter, Vater, ganz und gar, und das werde ich nie vergessen.«

29.
    In den Wäldern von Elcantara mußte Brenski den Wagen stehenlassen, der ihn bis dahin auf Nebenwegen über die Sierra de Avila gebracht hatte, das Gebirge also, nach dem die heilige Teresa benannt worden war, jene Teresa, die den Orden gründete, in dem Maria Christina für ihren vor dem Gesetz flüchtenden Bruder Buße tun sollte.
    Es wurde nun sehr gefährlich weiterzufahren, da er der Front jetzt wieder immer näher kam. Bisher hatte er Glück gehabt – niemand hatte ihn angehalten, denn er fuhr ja auf der republikanischen Seite der Front mit einem republikanischen Nummernschild, und vorne an den Stangen des Fünftonners hingen rote Wimpel, die verkündeten: CUIDADO! DINAMITA! Der Wagen war leer bis auf eine Kiste Dynamitpatronen, die Brenski neben sich ins Fahrerhaus gestellt hatte. Ein Zufall oder pures Glück?
    Es gibt keine Zufälle im Leben, dachte Brenski. Nicht nachdem ich erlebt habe, wie El Corazón die Befreiung herbeiwünschte und wie sie kam – wenn auch in der Gestalt des Todes aus den Bombern, die dort oben im Himmel schwammen, silbrig glänzende Fische, die jetzt schon wieder auf dem Anflug nach Madrid waren, so hoch, daß die republikanische Fliegerabwehr sie nicht erreichen konnte.
    »Dinamita!« riefen die Posten an den Straßensperren, wenn er mit seinem Wagen heranrollte, und sie ließen ihn durch, als verbreite er den Todesatem der Pest.
    Zufall? Glück? Oder der da oben, an den er so lange nicht mehr geglaubt hatte,

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