Der Gesang von Liebe und Hass
verschwunden, wie er gekommen war.
»Manchmal kriege ich bei dem den Zitterich«, sagte Tenente Grenados, und sein Lachen klang nervös.
Lorenzo Martéz nickte. »Ich weiß, was Sie meinen. Ohne die Zucht der Armee wäre er ein wildes Tier.«
»Sie bewundert er.«
»Ja, leider«, seufzte Martéz, »obwohl es an einem vierzigjährigen Hauptmann wohl kaum etwas zu bewundern gibt.«
Peinliches Schweigen antwortete ihm. In Stunden der Gefahr neigte der Capitán zu solchen Selbstanklagen, aber irgendwie schien ihm das Kraft zu geben, aus der Erniedrigung, in die er sich selbst durch seinen idealistischen Einsatz in Marokko gebracht hatte, neue Kraft und neuen Mut zu schöpfen. Kein einziger der Offiziere der Nordarmee trug schon drei Tapferkeitsmedaillen und dazu das Silberne Kreuz Santiagos.
»Wir werden keine Artillerie bekommen, das wissen wir. Auf der anderen Seite haben die Roten genügend Artillerie hinter der Front stehen, um das Kloster in einen einzigen Trümmerhaufen zu verwandeln, wenn sie es wollen.«
»Das wollen sie aber nicht, weil sie es brauchen«, sagte Tenente Grenados.
Martéz nickte. »Darum haben sie ja auch nur Sperrfeuer und kein Punktfeuer geschossen, als sie angriffen.« Er schwieg einen Moment lang, dann sagte er mit gedämpfter Stimme: »Es waren tatsächlich nur dreißig oder vierzig Mann, die da angegriffen haben.«
Sie sahen ihn alle verblüfft an.
»Ein junger Corporal konnte entkommen. Ich habe ihn unter Verschluß genommen, damit er mir keinen Blödsinn herumerzählt.«
Die drei Leutnants nickten. Auch dies war ein typischer Zug des Capitán – seine Geheimniskrämerei.
»Ich werde den Corporales allerdings nichts davon sagen. Wenn die hören, daß zweihundert unserer Leute gefallen oder in Gefangenschaft sind, dann kann auch ich sie nicht bewegen anzugreifen.«
»Señor Capitán!« Wieder war Sergeant Onega erschienen, lautlos wie vorher. »Die Corporales sind angetreten.«
Martéz machte es kurz. Er erklärte ihnen die Lage, wie man sie Kindern erklären würde. Nein, es stimmte nicht, daß nur dreißig Rote das Kloster erobert hätten – es seien fünfhundert Mann gewesen, aber die habe der Feind in seiner Dummheit abgezogen und nur eine Besatzung von zwanzig Mann zurückgelassen.
»Ihr wißt, daß ich auf euer Wohl bedacht bin wie auf das Wohl meiner Kinder.« Die hatte Martéz natürlich nicht. »Wir werden daher auch den Gegner nicht alarmieren, indem wir unsere Geschütze auf das Kloster losdonnern lassen. Wir werden uns heranschleichen, so wie wir es in den Bergen des Rifs getan haben, gegen die meuterischen Beni Kassim und die verräterischen Beni Nadr. Wir werden über die Mauern springen und die Roten mit unseren Dolchen erledigen.«
Sie standen stumm, hörten ihm zu, wie ein Rudel dressierter Raubtiere seinem Dompteur zuhören würde. Die einzelnen Worte verstanden sie nicht einmal ganz, nur den Sinn der Ansprache. Daß sie mit dem Dolch kämpfen konnten wie früher, an den Karawanenwegen und den Wasserlöchern.
»Señor Capitán …« Zögernd hob Corporal Omar al Kadr seine Stimme. »Die Leute sind unruhig … Sie haben lange nicht mehr das Fleisch von Frauen gesehen, und dort oben soll es viele Frauen geben, dazu noch solche, die noch nie bei einem Mann lagen.«
Der Capitán schob seine Pistolentasche nach vorne, zog die Pistole, hielt sie hoch. »Hier sind acht Kugeln drin, genügend, um acht ›Unruhige‹, wie du sie nennst, Omar al Kadr, zur Besinnung zu bringen – auf den Flügeln des Todesengels. Und in den Pistolen meiner Tenentes sind auch noch dreimal acht Kugeln, und der Capitán von der Militärpolizei, der uns mit einem Trupp seiner Leute zugeteilt worden ist, verfügt über Maschinenpistolen, die das Feuer wie Wasser aus einem Schlauch verspritzen. Ich schwöre euch – kein Mann von unserer Kompanie wird das Fleisch der jungen Frauen zu sehen bekommen oder es berühren, es sei denn, er wäre gerne tot.«
»Habt ihr verstanden?« fragte Sergeant Dauda drohend.
»Sí, ya-Sidi.«
Sie erhielten ihre Befehle über die Angriffsformation und gingen zu ihren Trupps und Schützenzügen zurück. Sie waren sehr schweigsam, und sie wußten nicht, ob sie mehr Angst vor dem Feuer aus den Schläuchen der MPs oder mehr Gier nach dem Fleisch der Weiber dort oben haben sollten.
Bull McKenzie war der erste, der bemerkte, daß sich draußen im Vorgelände etwas tat. Der Mond war seit einer halben Stunde hinter Wolken verschwunden gewesen, aber nun
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