Der Gesang von Liebe und Hass
riß die Wolkendecke wieder auf, und es war schattenhafte Bewegung dort zu sehen, wo die vorgeschobenen Posten lagen.
Bull griff nach dem Feldtelefon, das sie nach vorne gelegt hatten, kurbelte – und bekam keine Antwort.
»Shit«, fluchte er. »Ed?« Der Engländer warf sich neben ihn auf den Boden der MG-Stellung. Sie besaßen mit den vier eroberten MGs der Nacionales jetzt an jeder Ecke der Klosterfestung eine Feuerstellung. Aber einem rücksichtslos vorgetragenen Angriff mit Granatwerfern und eindeckendem MG-Feuer würden sie wohl kaum standhalten.
Brenski kam herangelaufen. Er schaute auf die Landschaft unter ihm, horchte auf das ominöse Schweigen des Telefons.
»Grüne Leuchtkugel für Ari-Sperrfeuer!« befahl er.
Ed brach die Leuchtpistole auf, schob eine der dicken, mattsilbernen Patronen hinein, klappte sie wieder zu.
Brenski hing an einem anderen Telefon, das sie am Abend vom Stab her zum Kloster gezogen hatten. Doch auch hier kam zuerst keine Antwort.
Die grüne Leuchtpatrone zischte in den Himmel, platzte wie ein Feuerwerkskörper und hüllte die ganze Landschaft in ein unwirkliches, außerirdisches Licht.
Endlich meldete sich der vorgeschobene Beobachter der Ari.
»Wir brauchen Feuerunterstützung, sofort. Die Nacionales greifen im Schutz der Dunkelheit an!«
Die Stimme am anderen Ende klang wie die eines Mannes, der sich im Davonlaufen umdreht, um seine Furcht hinauszuschreien.
»Die beiden Batterien sind vor einer Stunde abgezogen worden, Brenski. Wir können dir keine Feuerunterstützung mehr geben.«
Und dann war die Leitung still. Brenski wußte, daß sie von den Marokkanern durchgeschnitten worden war.
»Alarm!« schrie er gellend. »Alaaarm – in die Stellungen!« Sie kamen aus allen Richtungen, die, welche noch nicht auf Posten gewesen waren, und Brenski dachte mit Bitterkeit daran, daß zwei seiner Leute die Gefangenen bewachen mußten, und zwei Leute weniger bedeuteten in seiner Lage fast soviel wie zweihundert.
»Feuer frei!« befahl er den Maschinengewehren, denn jetzt waren die Schatten im Mondlicht ganz nah, und jetzt begannen sie zu brüllen diese Schatten und hetzten mit einer Schnelligkeit den Hang unterhalb des Klosters herauf, die Brenski ihnen nicht zugetraut hätte. Ganz ruhig dachte er: Und dies ist also mein letzter Kampf.
9.
Als die ersten Schüsse fielen, die Salven der Maschinengewehre knatterten, rief die Mutter Oberin alle Novizinnen aus ihren Zellen zusammen, trieb sie vor sich her, so rasch sie laufen konnten, in die Kirche.
»Kniet nieder, betet!«
Alle gehorchten, knieten vor dem Altar, breiteten die Arme im Zeichen des Kreuzes aus und baten um Gnade und Schutz vor der neuerlichen Prüfung, die ihnen allen bevorstand.
Die Madre Superior und die Novizenmeisterin verriegelten das Portal der Kirche, schoben zwei schwere Chorstühle davor. Dann trat die Mutter Oberin vor die Novizinnen, hob schweigend, gebietend die Hand – die Lippen der jungen Frauen bewegten sich nur noch lautlos – und sagte: »Fürchtet euch nicht. Selbst wenn Satan sich unseres Hortes bemächtigen würde, seine Teufel werden diese Kapelle nicht stürmen, sie werden nicht wagen, Gottes Haus zu entweihen.«
Aber die Fenster, auf die Maurice de Roquemaure fünf Jahre seines Lebens und seiner Malkunst verwandt hatte, zerbarsten unter den Salven der Schüsse. Glassplitter ritzten den Nonnen die Gesichter auf, zerschlitzten ihre Habits.
Keine von ihnen rührte sich, nicht eine einzige unterbrach ihr Gebet.
Wie das Heulen von Derwischen klang es zu ihnen herein, aber sie achteten nicht darauf.
Doch dann kamen die Schreie der Verwundeten.
Und da hielt Maria Christina es einfach nicht mehr aus.
Sie sprang auf.
»Schwester Teresa!«
»Ich kann nicht hierbleiben, ich muß raus, helfen!« Sie lief zu der kleinen Pforte der Sakristei.
»Teresa, bleib hier!« rief die Novizenmeisterin. Sie war eine gute Frau, eine herzliche Frau, die Teresa in mancher dunklen Stunde geholfen hatte, aber auch ihr konnte sie jetzt nicht gehorchen. Sie mußte sich selbst gehorchen, sich selbst folgen, mußte tun, was sie selbst als richtig empfand. Gott hatte den Menschen den freien Willen geschenkt, auch ihr.
Sie lief durch die Sakristei, dann durch den Kreuzgang. Sie erreichte das Gewölbe, das während des Tages als Lazarett gedient hatte.
Jetzt brannte nur noch eine Karbidlampe. Auf dem Behandlungstisch lag ein junger Mann im Koma, der Arzt stand über ihn gebeugt, fahl im Gesicht, Schweiß lief
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