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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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der man kaum folgen konnte, hatte Dauda den Jungen hochgerissen, ihm mit dem Dolch die Hose aufgeschlitzt, seine Hoden gepackt. »Soll ich sie dir abschneiden, damit sie nicht zu heiß werden?«
    Sie alle zitterten.
    »Verzeih mir, ya-Sidi, bitte … Es ist … Ich war …«, stammelte der junge Ali.
    Dauda ließ ihn los und stieß ihn zurück, daß er schwer mit dem Kopf auf die Steine des Straßenrandes fiel. Aber er gab keinen Laut von sich.
    »Omar al Kadr, du bist mir verantwortlich für deine Leute!« sagte Dauda.
    »Aiwa, ya-Sidi, sie werden mir aufs Wort gehorchen.«
    »Dann können sie auch noch lange leben und noch lange ihre Lendenspeere in den Schoß der Weiber stecken. Doch wer mir nicht gehorcht oder dir nicht gehorcht, Omar al Kadr, den holt der Scheitan.«
    »Du sagst es.«
    Und so plötzlich wie er gekommen, war der schwarzhäutige Sergeant verschwunden.
    Sie hockten beieinander und bedeckten ihre Gesichter mit ihren Burnustüchern. Aber sie flüsterten nicht mehr untereinander. Die Angst vor Dauda war jetzt größer als die Angst vor dem, was sie in dem Kloster erwarten könnte, das wie ein Fels am Horizont hing, blank angestrahlt vom Mond.
    »Sie haben Angst, Señor Capitán«, sagte Dauda, nachdem er salutiert hatte wie auf dem Kasernenhof.
    Der Capitán und die drei Leutnants saßen um einen Kartentisch im Stabszelt der Kompanie, die einmal ein Bataillon gewesen war. Nicht nur die Republikaner, auch die Nacionales hatten in den letzten Wochen schwere Verluste erlitten. Die Kämpfe waren heftiger, verbitterter und blutiger geworden. Der Haß auf beiden Seiten war gestiegen, und Capitán Lorenzo Martéz war es, als sei ein Gottesgericht über Spanien gekommen.
    Das Zelt lag gut getarnt in einem Korkeichenhain, und sie hatten die Karbidlampe abgeschirmt, so daß ihr Schein nicht verräterisch nach draußen fallen konnte.
    »Ich weiß, daß meine Leute Angst haben. Aber es sind brave Soldaten, die in der Stunde der Bewährung mehr Mut aufbringen als manche meiner eigenen Landsleute.« Martéz war für seinen Rang mit vierzig Jahren schon ein alter Offizier. Er war dreimal bei den Beförderungen übergangen worden, und das nur, weil er sich zu sehr für die Rif-Kabylen im nördlichen Atlasgebirge eingesetzt hatte, nachdem ihr Aufstand von Francisco Franco endgültig niedergeschlagen worden war. Er war einer jener ›Kfar‹-Offiziere, wie man sie in spanischen und französischen Wüstenforts so oft fand – der Wüste für immer verfallen, fast mystisch beherrscht von ihr, halb Offizier, halb Mönch.
    So war es auch kein Wunder, daß Martéz ein zerschlissenes Taschenbuch auf Französisch mit den ›Lettres et carnets‹ des Charles de Foucault mit sich führte, jenes legendären Heiligen der Wüste, der als Offizier der französischen Armee in einer Garnison in Lothringen ein Leben in Saus und Braus geführt hatte, von Damen und Dämchen umschwärmt, und der dann von einem Tag zum anderen aus der Armee ausschied, in die Wüste ging, in der damals noch Frankreichs Kolonialarmee gegen die Nomaden kämpfte – um die Jahrhundertwende –, dort Studien trieb und Gott fand. Er trat in den Trappistenorden ein, missionierte in Syrien, Palästina und schließlich mitten im wilden Hoggar, dem Stammesgebiet der räuberischen Tuareg, der Piraten der Wüste. Er bezog eine Einsiedelei auf der Spitze des Assekrem-Berges, meditierte, lehrte die Heiden den Glauben an Gott und fand schließlich den Tod von der Hand verräterischer Nomaden, die ihn wegen seiner paar Lumpen, wegen ein paar Büchern und Schreibgeräten beraubten.
    »Sie werden meutern, Señor Capitán, wenn wir keine Artillerieunterstützung bekommen«, sagte Sergeant Onega in Martéz' Gedanken hinein.
    »Ich werde sie dazu bringen anzugreifen.«
    »Dann müssen Sie selbst mit den Corporales sprechen, Señor Capitán.« Dauda konnte sich bei seinen Vorgesetzten solche Dreistigkeiten leisten, weil sein Mut ebenso legendär war wie seine Verschlagenheit, seine Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst so wie seine Grausamkeit gegenüber anderen. Wenn sie es sich auch nicht eingestanden, irgendwie hatten auch die weißen Offiziere, mit Ausnahme von Martéz, Angst vor dem Mischling.
    »Ich werde mit den Corporales sprechen. Laß sie in zehn Minuten vor dem Zelt hier antreten.«
    Dauda grüßte wieder stramm. »Sí, Señor Capitán.« Er drehte sich auf dem Absatz seiner blinkenden Stiefel um und war genauso lautlos hinter der zufallenden Zeltplane

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