Der Gesang von Liebe und Hass
Denken mehr.
Unten im Kreuzgang taumelte ihnen der Arzt entgegen, er preßte die Rechte gegen seinen Hals. Als er sprechen wollte, quoll Blut aus seinem Mund.
Maria Christina blieb stehen.
»Los, komm, ihm ist nicht mehr zu helfen!« Brenski zerrte sie weiter.
Und sie hörte, wie hinter ihnen der Arzt mit einem dumpfen Laut zusammenbrach.
Nun übernahm sie die Führung, zog Brenski hinter sich her in den Trakt, in dem die Zellen der Nonnen lagen.
Dort gab es eine kleine Pforte, die in den außerhalb des Klostergevierts liegenden Gemüse- und Obstgarten führte. Sie wurde nur aufgeschlossen, wenn die Schwestern dort Arbeiten zu verrichten hatten. Aber der Schlüssel hing an seinem Platz neben der Tür. Der Garten dahinter war auch von einer hohen Mauer umgeben.
»Los, hoch«, flüsterte Brenski, und sie schwang sich aus der Muschel seiner Hände auf den Rücken der Mauer.
Jenseits war ein kleiner Korkeichenwald, und geduckt im Schatten der Bäume wandten sie sich nach Süden, wo die Hügel der Sierra ihre schützenden Schatten ausbreiteten.
10.
»Euch sollte man alle an die Wand stellen!« schrie Colonel Bienvenida. Sein Nacken war rot angeschwollen, und die Narbe auf seinem kahlgeschorenen Kopf zuckte, wie immer, wenn er erregt war.
Major Vegas stand vom Kartentisch auf, stützte beide Hände auf die Tischplatte, beugte sich vor.
»Sie haben hier nichts mehr zu suchen, Colonel Bienvenida. Ihre Internacionales sind nach Casaroja an der Nordfront in Marsch gesetzt worden. Wollen Sie Ihre Leute ohne Führung lassen?«
Colonel Bienvenida trat an den Tisch, griff nach der elektrischen Hängelampe mit dem grünen Schirm, hob sie, daß sie dem Major direkt ins Gesicht schien; er mußte die Augen zusammenkneifen.
»Wo sind Brenski und seine Leute?« fragte er mit jetzt ganz ruhiger Stimme.
»Im Kloster. Sie kämpfen noch.«
»Soso. Sie kämpfen noch. Und ohne Verstärkung, ohne Artillerieunterstützung. Wo ist die Ari?«
»Sie ist abgezogen worden und wird mit den beiden Batterien des sechzehnten motorisierten Regiments zusammengelegt. Der General hat endgültig die taktische Reserve freigegeben. Die Sechzehner werden morgen früh das Kloster angreifen.«
»Warum nicht jetzt, heute nacht?«
»Befehl ist Befehl.«
»Und Sie haben diesen Plan ausgeheckt. Sie wollen, daß meine Internacionales dort kämpfen wie die Teufel und dem Gegner möglichst große Verluste beibringen. Sie wollen morgen die Sechzehner angreifen lassen, aber nur ein bißchen, damit der Gegner immer mehr Truppen in den Kampf wirft. Stimmt's?«
»Sí, Camarada Colonel. Es stimmt«, erwiderte Vegas mit tonloser Stimme. »Aber nicht ich bin verantwortlich für diesen Plan, sondern der Generalstab in Madrid.«
»Sie haben hier vor Ort den Oberbefehl. Sie könnten das Blutvergießen beenden. Sie hätten es sogar verhindern können, wenn Brenski rechtzeitig Sperrfeuer der Artillerie vor seine Linien bekommen hätte.«
»Der Plan ist darauf angelegt, die Nacionales so zu schwächen im Kampf um diesen strategischen Punkt, daß sie die Straße nach Madrid gar nicht mehr angreifen, geschweige denn in ihre Hand bekommen können. Opfer sind dabei unvermeidlich.«
»Es war also alles von Anfang an so geplant.«
Vegas schwieg.
»Ihr habt also von Anfang an den Verrat an Brenski und seinen Leuten miteingeplant.«
»Brenski hat den Befehl erhalten, das Kloster zu erobern und zu halten. Niemand hat davon gesprochen, daß er Artillerieunterstützung bekommen würde, wenn er das Kloster einmal in seiner Hand hätte.«
»Von vornherein geplant …« Colonel Bienvenida ließ die Lampe los, daß sie weit ausschwang und Vegas fast an der Stirn traf. Dieser ergriff sie, führte sie an ihrem Kabel auf den Punkt über der Mitte des Tisches zurück, wo sie jetzt kleine, immer langsamer werdende Kreise zog, wobei das grellweiße und grüngetönte Licht bizarre Muster auf Tisch und Wände warf.
Der Colonel zog seine Lederjacke enger um sich, als friere er.
»Habt ihr so etwas auch mit den anderen Männern meiner Brigade geplant, die auf dem Weg nach Casaroja ist? Wollt ihr die auch verheizen in eurem Westentaschen-Verdun, das ihr hier schaffen wollt?«
»Die Internationale Brigade des Colonel Bienvenida hat Casaroja anzugreifen, die Nationalisten dort zu schlagen und Verbindung mit den baskischen Truppen jenseits des Gebirges von Casaroja aufzunehmen. Der Feind wird dann eingeschlossen und vernichtet. Ich zitiere wörtlich den Armeebefehl aus Madrid.«
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