Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
Vom Netzwerk:
ihm von der Stirn über die Schläfen bis zum Kinn.
    Maria Christina raffte an Verbandszeug zusammen, was noch dalag, eine Flasche Jod dazu, eine andere mit Äther, riß sich den Unterrock unter dem Habit herab, benutzte ihn wie einen Sack.
    Sie lief in das Nebengewölbe, wo während des Abends eine andere Novizin für die Verwundeten Tee gekocht hatte. Sie füllte einen Tonkrug mit Wasser, fand sogar eine kleine Flasche Branntwein, fand eine Schachtel mit Hostien – wie kamen die hierher? –, packte auch sie in das Bündel und fand im ›Bettelbeutel‹ der Schwester Augusta einen Krug Wein, einen Kanten Brot und ein Stück harten Käse, hing sich die Tasche einfach über die Schulter.
    Als sie die äußere Klostermauer erreichte, von der aus man das umliegende Land überblicken konnte, drangen an ihrem jenseitigen Ende die ersten Marokkaner durch die Bresche, die Brenskis Leute am Nachmittag dort geschlagen hatten.
    Maria Christina hielt sich im Schatten der Mauer, erreichte die Stiege, die zur Balustrade hinaufführte. Sie stolperte oben über einen Mann, der am Boden lag, das Gewehr noch in den schlaffen Händen. Sie nahm es auf, lud es durch, wußte ja, wie man damit umging, seit sie ihren Vater und die Brüder auf die Jagd begleitet hatte.
    Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, die nur durch die Geschosse blitzartig erhellt wurde. Sie gewahrte einen anderen von Brenskis Leuten. Er blutete aus einer Wunde an der Schulter, sie fragte: »Schlimm?« Er schüttelte stumm den Kopf. Sie gab ihm einen Schluck Branntwein, ein Verbandspäckchen. Hinter sich hörte sie ihn wieder auf die Beine kommen, hörte das Knacken, mit dem er sein Gewehr durchlud. Vor sich sah sie einen Maschinengewehrposten; einer der beiden Männer, die es bedienten, erhielt einen Kopfschuß, der ihn zurückwarf, als hätte ein Hammerschlag ihn getroffen. Sie ließ Gewehr und Bündel fallen, faßte den Mann unter den Achselhöhlen, zog ihn zur Seite, damit er seinen Kameraden nicht behinderte.
    Einem anderen, der unaufhörlich schrie, während das Blut durch seine Finger floß, die er auf den Leib gepreßt hielt, gab sie Äther, bis er still war.
    Und allen anderen Verwundeten oder Gefallenen schaute sie ins Gesicht, aber Brenski war nicht unter ihnen.
    Sie fand ihn bei dem zweiten Maschinengewehr. Er hielt die Mauerbresche unter Feuer, aber wie Ameisen lösten dort unten Marokkaner einander ab.
    Brenski bediente das Maschinengewehr allein, und sie sah, daß die ihm nahen Kästen mit Munition schon leer waren. Sie schleppte neue heran.
    Plötzlich unterbrach er das Zielfeuer, schaute zu ihr auf.
    »Sind Sie verrückt? Machen Sie, daß Sie runterkommen. Und weg hier. Weg aus dem Kloster.«
    »Wohin?«
    Er zog sie zu sich herunter. »Da unten sind Marokkaner, und selbst die spanischen Nacionales haben Angst vor ihnen. Ziehen Sie Ihr Zeug aus und versuchen Sie zu entkommen.«
    »Und Sie?«
    »Und ich?« Er wandte sich ab, zog das MG wieder ein, gab einen neuen Feuerstoß ab.
    Sie verharrte reglos neben ihm. Wie konnte sie ihn allein lassen? Man durfte einen Menschen in der Not nicht im Stich lassen.
    Sie nahm langsam ihre Haube ab, dann kroch sie ein paar Schritte von Brenski fort, legte den Habit ab, bis auf das wollene Leibchen. Neben ihr lag ein Gefallener der Internacionales. Daß er Gino hieß, ein Italiener aus Pisa, das wußte sie nicht. Sie sah nur, daß seine linke Hand fest ein Amulett umkrampft hielt. Sie zog ihm die Hosen aus, gürtete sie für sich selbst mit seinem Koppel, zog seine Tunika darüber. Die Ärmel waren zu lang, sie rollte sie auf. Sie breitete den Habit über den Gefallenen.
    »Du hast ja rotes Haar!« rief Brenski, und er lachte, als sei jetzt Zeit dafür.
    »Wir haben keine Munition mehr!« sagte Maria Christina, denn auch der letzte der grünen Kästen war leer.
    Und da wurde ihnen bewußt, daß niemand mehr auf dem Abschnitt der Klostermauer, auf dem sie sich befanden, schoß.
    Aus der Richtung der Kapelle, die sie von ihrem Standort aus nicht sehen konnten, gellten Schreie herüber, aber es waren seltsamerweise nur die kehligen Schreie von Männern.
    »Los, komm!« Brenski packte ihre Hand, sie raffte ihr Bündel auf, er eine Maschinenpistole und sein Sturmgepäck. Geduckt liefen sie die Balustrade entlang, immer wieder an Gefallene stoßend. Manchmal konnten sie es nicht verhindern, daß sie auf sie traten.
    Ich trete auf Tote, dachte Maria Christina, ich trete auf Tote. Aber dann war keine Zeit zum

Weitere Kostenlose Bücher