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Der Geschmack der Gewalt

Der Geschmack der Gewalt

Titel: Der Geschmack der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Bill
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nicht ganz«, sagte er lächelnd. »Hab Probleme mit dem Wagen. Glaube, er hat seine letzten Kilometer gemacht. Meinst du, du könntest mich mitnehmen?«
    Der Mann nickte. »Aber klar doch.«
    Jarhead stieg ein. Eine intensive Benzinschwade brannte ihm in den Augen. Der Mann legte einen Gang ein. Streckte ihm dann eine Hand hin. »Tig Stanley. Kümmer dich nicht um den Spritgeruch. Mach bloß ein paar Nachttouren.«
    Jarhead schüttelte den Kopf. »Stört mich nicht. Mein Name ist Johnny Earl. Aber du kannst mich Jarhead nennen.«
    Tig schaltete. Das Getriebe knirschte. »Wohin bist du unterwegs, Jarhead?«, fragt er.
    »Orange County, Indiana.«
    Tig lächelte. »Hast Glück. Kann dich bis nach Brandenburg mitnehmen, wo mein Cousin unser Geschäft führt. Da ist eine Brücke, die dich über den Ohio River auf die 135 nach Mauckport, Indiana, bringen wird. Von dort ist es nur noch eine Dreiviertelstunde oder weniger nach Orange County. Aber ich muss vorher noch ein paar Mal halten. Du kannst mir helfen, ich bezahl dich, und du bist in ein, zwei Tagen in Orange County.«
    »Geht klar, solange ich es bis Freitag schaffe. Was ist das für ein Job, der dich noch so spät abends hier in die Pampa verschlägt?«
    Tig nahm einen Plastikpuck mit Kodiak vom Armaturenbrett. Klopfte damit gegen das Lenkrad. Öffnete ihn. Klemmte sich eine Prise hinter die Unterlippe. Seine Augen wurden heller. »Wirst schon sehen«, sagte er.

5
    Am Montagmorgen trommelte Annus Steeprow, mehlartiges Make-up und wächsern-violette Lippen, mit den Fingern auf den Tresen der McClanahan-Apotheke. Sie wartete darauf, dass Eldon durch den Vordereingang marschierte. Stattdessen kam ein gottverdammter Chinamann herein und direkt auf sie zu.
    Sein kohlschwarzes Haar war säuberlich gescheitelt und gebürstet. Er hatte Augen wie eine Schlange. Trockene rosafarbene Lippen. Ein zerknittertes Aussehen. Trug ein schwarzes Dinnerjacket. Ein zugeknöpftes seidig-weißes Hemd, das in einer schwarzen Anzughose steckte. Er roch nach teurem Eau de Cologne und sprach mit einem Akzent. »Ist Mr. Eldon hier?«
    Vor ein paar Jahren, als sie fünfzig geworden war, hatte Annus begonnen ihr Haar buntstiftbraun zu färben – ein Versuch, mit den Dreißig- und Vierzigjährigen mitzuhalten. Sie war einsam. Fand keinen Mann. Sie musterte den kleinen Mann. Dick war er nicht. Dünn. Sehr sauber. Verströmte den Hauch frischer Banknoten. Fünfziger und Hunderter. Keine Einer, Zwanziger oder Fünfer. Sie würde ihm einen Fick verpassen. Wäre bescheuert, es nicht zu tun. »Rief Freitag an«, ließ sie ihn wissen, »meinte, er nimmt sich das Wochenende frei. Sonntags hat er geschlossen. Jetzt ist Montag, und noch ist er nicht aufgetaucht.«
    Der Mann nickte. Griff mit einer manikürten Hand in sein Jackett. Zog mit den Fingern, an denen mit Goldnuggets besetzte Ringe steckten, eine kleine Visitenkarte hervor und legte sie auf den Tresen. »Sagen Sie ihm, er soll mich kontaktieren.«
    Annus griff nach der Karte. Beobachtete, wie der Mann sich umdrehte. Sein Jackett verdeckte seinen Hintern. Sie hatte gehört, dass Chinamänner flache Ärsche hatten. Egal, er würde sie trotzdem ein- oder zweimal vögeln dürfen. Sie war ohnehin keineFrau, die auf Ärsche stand. Sie mochte Augen. Mochte es, mit der Zunge hineinzustippen. Aber den Blick dieses Mannes hatte sie nicht erhaschen können. Während sie zusah, wie er sich entfernte, sagte sie: »Man weiß nie, wohin es seinen Zockerhintern verschlägt. Vielleicht hängt er besoffen bei irgendeiner Wohnwagenkönigin rum. Wollen Sie warten, ich könnte ihn noch mal anrufen?«
    Er ging hinaus. Auf der Karte stand Golden Dragon, Chinarestaurant, Besitzer und Geschäftsführer: Mr. Zhong . Jetzt hab ich deine Nummer, Mr. Shong, dachte Annus, als sie die Karte auf die Registrierkasse legte, sich zum Telefon wandte, Eldons Nummer wählte und ihn dabei leise verfluchte.
    Eldons Vater und Großvater hatten die Apotheke gemeinsam eröffnet. Der Familie zu einem guten Ruf in Harrison County verholfen. Sie dann Eldon überlassen. Der sich ebenfalls einen Ruf erarbeitet hatte. Stand bei dem Japsen womöglich übel in der Kreide, dachte Annus.
    Eldon ging nicht dran. Annus knallte den Hörer auf die Gabel.
    *
    Nachdem sie den ganzen Morgen erfolglos versucht hatte anzurufen, entschied Annus, Eldon während der Mittagspause einen Besuch abzustatten. Fuhr auf die befestigte Zufahrt und hielt neben Eldons einzigem Wagen, einem verrosteten grauen

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