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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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Sie aßen,
     wie sie sprachen: langsam und laut und beständig. Zusammen mit den beiden
     Serviererinnen trugen mein Vater und Herr Lexow die Silberbleche mit Bergen
     quadratischer Butterkuchenstücke aus der Küche und stellten eine Kaffeekanne nach
     der anderen auf die Tische. Die Kränzchenschwestern scherzten ein bisschen mit
     diesen beiden aufmerksamen jungen Männern und versuchten, sie für ihre Kränzchen zu
     gewinnen. Und während mein Vater respektvoll schäkerte, lächelte Herr Lexow
     ängstlich und floh zu den Nachbartischen. Er musste ja schließlich hier wohnen
     bleiben.

    Als wir das Lokal verließen, war es immer noch warm. Herr
     Lexow klemmte sich metallene Ringe um die Hosenbeine und stieg auf sein schwarzes
     Fahrrad, das unabgeschlossen an der Hauswand lehnte. Er hob kurz die Hand und fuhr
     in Richtung Friedhof davon. Meine Eltern und Tanten blieben vor der Tür des Lokals
     und blinzelten in die Abendsonne. Mein Vater räusperte sich:
    - Die Männer von der Kanzlei, ihr habt sie ja gesehen,
     Bertha hat ein Testament gemacht.
    Also waren es doch die Anwälte gewesen. Mein Vater war
     noch nicht fertig, er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, die drei Frauen
     blickten weiter in die rote Sonne und sagten nichts.
    - Sie warten am Haus.

    Als Rosmarie starb, war es auch Sommer gewesen, aber nachts kroch
     aus den Wiesen schon ein Geruch von Herbst. Menschen kühlten da schnell aus, wenn
     sie auf dem Boden lagen. Ich dachte an meine Oma, die unter der Erde lag, an das
     feuchte schwarze Loch, in dem sie sich nun befand. Moorboden, schwarz und fett, doch
     darunter der Sand. Der aufgeschaufelte Erdhaufen neben ihrem Grab trocknete in der
     Sonne, und immer wieder war Sand abgegangen, in kleinen Moränen war er
     herabgerieselt wie bei einer Eieruhr.
    - Das bin ich, hatte Bertha einmal gestöhnt, das ist mein
     Kopf.
    Sie nickte der Eieruhr zu, die auf dem Küchentisch stand,
     und erhob sich rasch von ihrem Stuhl. Dabei wischte sie mit der Hüfte die Uhr vom
     Tisch. Das dünne Holzgestell brach, das Glas splitterte, spritzte. Ich war ein Kind,
     und ihre Krankheit war noch nicht so, dass man viel merkte. Ich kniete mich hin und
     breitete mit dem Zeigefinger den weißen Sand auf dem schwarz-weißen Steinfußboden
     aus. Der Sand war ganz fein und glitzerte im Licht der Küchenlampe. Meine Großmutter
     stand daneben, seufzte und fragte mich, wie mir denn die schöne Sanduhr zerbrechen
     konnte. Als ich sagte, sie habe das selbst gemacht, schüttelte sie den Kopf,
     schüttelte ihn wieder und wieder und wieder. Dann fegte sie die Scherben zusammen
     und warf sie in den Ascheimer.

    Tante Harriet nahm meinen Arm, ich zuckte zusammen.
    - Wollen wir? fragte sie mich.
    - Ja, natürlich.
    Ich versuchte, mich aus ihrem sanften Griff zu befreien,
     sie ließ sofort los, ich spürte ihren Blick von der Seite.

    Wir gingen zu Fuß zum Haus, Bootshaven ist ein sehr kleines Dorf.
     Die Leute nickten ernst, als wir vorbeigingen. Einige Male stellten sich alte Frauen
     in den Weg und gaben uns die Hand, meinem Vater aber nicht. Ich kannte keine von
     ihnen, aber sie schienen alle mich zu kennen und sagten zwar leise – aus Respekt vor
     unserer Trauer – und doch mit einem kaum zu unterdrückenden Triumph darüber, dass es
     eine andere erwischt hatte, ich sähe aus wie de lüttje Christel. Es dauerte eine
     Weile bis ich begriff, dass de Lüttje meine Mutter war.

    Das Haus war schon von weitem zu sehen. Der Wilde Wein
     wucherte über die Fassade, und die oberen Fenster waren nichts als viereckige
     Vertiefungen im dunkelgrünen Dickicht. Die beiden alten Linden an der Einfahrt
     reichten bis ans Dach. Als ich die seitliche Hauswand berührte, waren die rauen
     roten Steine warm unter meiner Hand. Ein Windstoß fuhr durch den Wein, die Linden
     nickten, das Haus atmete flach.

    Am Fuß der Treppe, die zur Haustür führte, standen die
     Anwälte. Der eine warf seine Zigarette weg, als er uns kommen sah. Dann bückte er
     sich hastig und hob die Kippe auf. Als wir die breiten Stufen hinaufgingen, senkte
     er den Kopf, er hatte gesehen, dass wir ihn gesehen hatten, sein Hals war rot
     angelaufen, und er wühlte konzentriert in seiner Aktentasche. Die beiden anderen
     Männer schauten auf Tante Inga, beide waren jünger als sie, fingen aber sofort an,
     sie zu umwerben. Einer von ihnen holte aus seiner Aktentasche einen Schlüssel und
     schaute uns fragend an. Meine Mutter nahm den Schlüssel und

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