Der Geschmack von Apfelkernen
Sie aßen,
wie sie sprachen: langsam und laut und beständig. Zusammen mit den beiden
Serviererinnen trugen mein Vater und Herr Lexow die Silberbleche mit Bergen
quadratischer Butterkuchenstücke aus der Küche und stellten eine Kaffeekanne nach
der anderen auf die Tische. Die Kränzchenschwestern scherzten ein bisschen mit
diesen beiden aufmerksamen jungen Männern und versuchten, sie für ihre Kränzchen zu
gewinnen. Und während mein Vater respektvoll schäkerte, lächelte Herr Lexow
ängstlich und floh zu den Nachbartischen. Er musste ja schließlich hier wohnen
bleiben.
Als wir das Lokal verließen, war es immer noch warm. Herr
Lexow klemmte sich metallene Ringe um die Hosenbeine und stieg auf sein schwarzes
Fahrrad, das unabgeschlossen an der Hauswand lehnte. Er hob kurz die Hand und fuhr
in Richtung Friedhof davon. Meine Eltern und Tanten blieben vor der Tür des Lokals
und blinzelten in die Abendsonne. Mein Vater räusperte sich:
- Die Männer von der Kanzlei, ihr habt sie ja gesehen,
Bertha hat ein Testament gemacht.
Also waren es doch die Anwälte gewesen. Mein Vater war
noch nicht fertig, er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, die drei Frauen
blickten weiter in die rote Sonne und sagten nichts.
- Sie warten am Haus.
Als Rosmarie starb, war es auch Sommer gewesen, aber nachts kroch
aus den Wiesen schon ein Geruch von Herbst. Menschen kühlten da schnell aus, wenn
sie auf dem Boden lagen. Ich dachte an meine Oma, die unter der Erde lag, an das
feuchte schwarze Loch, in dem sie sich nun befand. Moorboden, schwarz und fett, doch
darunter der Sand. Der aufgeschaufelte Erdhaufen neben ihrem Grab trocknete in der
Sonne, und immer wieder war Sand abgegangen, in kleinen Moränen war er
herabgerieselt wie bei einer Eieruhr.
- Das bin ich, hatte Bertha einmal gestöhnt, das ist mein
Kopf.
Sie nickte der Eieruhr zu, die auf dem Küchentisch stand,
und erhob sich rasch von ihrem Stuhl. Dabei wischte sie mit der Hüfte die Uhr vom
Tisch. Das dünne Holzgestell brach, das Glas splitterte, spritzte. Ich war ein Kind,
und ihre Krankheit war noch nicht so, dass man viel merkte. Ich kniete mich hin und
breitete mit dem Zeigefinger den weißen Sand auf dem schwarz-weißen Steinfußboden
aus. Der Sand war ganz fein und glitzerte im Licht der Küchenlampe. Meine Großmutter
stand daneben, seufzte und fragte mich, wie mir denn die schöne Sanduhr zerbrechen
konnte. Als ich sagte, sie habe das selbst gemacht, schüttelte sie den Kopf,
schüttelte ihn wieder und wieder und wieder. Dann fegte sie die Scherben zusammen
und warf sie in den Ascheimer.
Tante Harriet nahm meinen Arm, ich zuckte zusammen.
- Wollen wir? fragte sie mich.
- Ja, natürlich.
Ich versuchte, mich aus ihrem sanften Griff zu befreien,
sie ließ sofort los, ich spürte ihren Blick von der Seite.
Wir gingen zu Fuß zum Haus, Bootshaven ist ein sehr kleines Dorf.
Die Leute nickten ernst, als wir vorbeigingen. Einige Male stellten sich alte Frauen
in den Weg und gaben uns die Hand, meinem Vater aber nicht. Ich kannte keine von
ihnen, aber sie schienen alle mich zu kennen und sagten zwar leise – aus Respekt vor
unserer Trauer – und doch mit einem kaum zu unterdrückenden Triumph darüber, dass es
eine andere erwischt hatte, ich sähe aus wie de lüttje Christel. Es dauerte eine
Weile bis ich begriff, dass de Lüttje meine Mutter war.
Das Haus war schon von weitem zu sehen. Der Wilde Wein
wucherte über die Fassade, und die oberen Fenster waren nichts als viereckige
Vertiefungen im dunkelgrünen Dickicht. Die beiden alten Linden an der Einfahrt
reichten bis ans Dach. Als ich die seitliche Hauswand berührte, waren die rauen
roten Steine warm unter meiner Hand. Ein Windstoß fuhr durch den Wein, die Linden
nickten, das Haus atmete flach.
Am Fuß der Treppe, die zur Haustür führte, standen die
Anwälte. Der eine warf seine Zigarette weg, als er uns kommen sah. Dann bückte er
sich hastig und hob die Kippe auf. Als wir die breiten Stufen hinaufgingen, senkte
er den Kopf, er hatte gesehen, dass wir ihn gesehen hatten, sein Hals war rot
angelaufen, und er wühlte konzentriert in seiner Aktentasche. Die beiden anderen
Männer schauten auf Tante Inga, beide waren jünger als sie, fingen aber sofort an,
sie zu umwerben. Einer von ihnen holte aus seiner Aktentasche einen Schlüssel und
schaute uns fragend an. Meine Mutter nahm den Schlüssel und
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