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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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Blick am Bücherregal hängen. Die Buchrücken schauten mich an. Ich blieb stehen. Es gab gar kein System, die Dinge passierten einfach, und manchmal passten sie.
    Ich nahm die Tischdecke, griff mir noch ein paar dunkelgrüne Samtkissen mit goldenen Troddeln aus dem Wohnzimmer und ging damit hinaus. Das Tischtuch flatterte auf den angerosteten viereckigen Klapptisch. Ich harkte das frischgeschnittene Gras zur Seite und breitete den Teppich aus. Darüber kamen die Wolldecken und dann der Brokatvorhang darauf. Die Samtkissen warf ich dazu und war entzückt, als ich mich auf dem prächtigen Lager ausstreckte und in den Baum hinaufsah. Ich konnte aber nichts sehen, weil ich gegen das Licht schaute. Ich legte die Hand aufs Gesicht.

    Als ich aufwachte, stand die Sonne schon tiefer. Benommen wühlte ich mich aus den Kissen. Ich konnte mich nicht erinnern, zu irgendeiner Zeit meines Lebens so viel geschlafen zu haben. Aber ich konnte mich auch nicht erinnern, zu irgendeiner Zeit meines Lebens so viel die Sense geschwungen zu haben. Also taumelte ich die Treppe hinauf, mittlerweile bildete ich mir ein, auch einen resignierten, aber nicht unfreundlichen Unterton in ihrem Gejammer zu hören.
    Ich wusch mich von Kopf bis Fuß am Waschbecken, steckte mir die Haare hoch und schlüpfte in das nachtblaue Tüllkleid, das einst Inga gehört hatte. Die Röcke dieses Kleides bestanden aus unzähligen Bienenwaben von Nichts, begrenzt durch einen blauen Faden. Und je mehr von diesen Löchern übereinanderlagen, destoverschwommener war das, was sich darunter verbarg. Beim Spielen mit Rosmarie und Mira war es immer meins gewesen.

    Ich dachte daran, wie wir Mira kennengelernt hatten. Max war damals auch schon dabei gewesen. Rosmarie und ich spielten vorne auf der Einfahrt mit einem Ball, den wir gegen die Hauswand warfen und dann klatschten, erst einmal, dann zweimal, dann dreimal und so weiter. Diejenige, die den Ball fallen ließ oder ein Klatschen vergessen hatte, hatte verloren. Wir spielten es mit Drehen und mit Zungenbrecheraufsagen und was uns noch so einfiel. Plötzlich standen dieses Mädchen mit den schwarzen Haaren und sein kleiner Bruder mitten auf der Einfahrt. Rosmarie wusste, wer das Mädchen war und wo es wohnte. Sie waren auf der gleichen Schule, aber das Mädchen war eine Klasse über Rosmarie. Der Bruder war eindeutig viel, viel jünger als ich, mindestens ein Jahr, das konnte man sofort sehen. Das Mädchen hob mit unbewegtem Gesicht kleine Steine vom Boden auf und warf sie auf Rosmarie. Ich freute mich schon auf das, was meine angriffslustige Kusine gleich tun würde. Aber zu meiner Empörung tat sie nichts. Ja, sie schien geschmeichelt zu sein und zeigte ihre Zahnlücken, die spitzen Eckzähne hatte sie noch, dafür fehlten aber alle oberen Schneidezähne. Ihr Ausdruck wurde dadurch noch wilder und auch etwas bösartig. Ich nahm einen Stein und warf ihn auf das Mädchen. Doch ich traf nur seinen kleinen Bruder, der sofort anfing zu heulen. Und da durften beide mitmachen.

    Ich fragte mich, an was Max sich erinnerte. Er musste damals sechs gewesen sein, seine Schwester neun, ich sieben und Rosmarie acht Jahre alt. Jetzt waren wirzwanzig Jahre älter. Bis auf Rosmarie natürlich. Sie würde für immer bald sechzehn sein. Ich raffte meine Tüllröcke und ging hinunter, um Kristallgläser aus der Vitrine im Wohnzimmer zu holen. Gerade als ich schon wieder darüber nachdachte, was ich machen sollte, wenn er gar nicht käme, wenn er direkt nach der Arbeit mit Freunden aus- oder ins Kino gegangen war, hörte ich das Klingeln an der Haustür. Die Gläser klirrten in meinen Händen. Ich lief zur Tür und öffnete. Max stand da und hielt einen Strauß Margeriten in der Hand. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Jeans und lächelte verlegen.
    - Danke für die Einladung.
    - Komm rein.
    - Du siehst …, also du bist …
    - Danke schön. Los, komm und hilf mir.
    - Was ist das denn für eine Einladung? Alles muss man selber machen.
    Doch er blickte ganz zufrieden drein, als er mir in die Küche folgte. Ich versorgte die Blumen und legte ihm die volle Vase in den einen, die Weinflaschen in den anderen Arm. Ich nahm den Korb vom Küchenschrank und tat Gläser, Teller, Messer, Käse, Brot, Karotten, Melone, Schokolade, After Eight und große Leinenservietten hinein. Und so zogen wir durch die Diele auf die Obstbaumwiese.
    - Hey, was ist das?
    Er meinte offenbar die Decken unter dem Baum.
    - Ich musste das Zeug hier hinlegen,

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