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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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evidenti da potergli persuadere ad alterui.« (Discorsi sopra Tito Livio, lib. I, cap. XI. Und in der Tat: gab es niemals einen Urheber von außergewöhnlichen Gesetzen in einem Volke, der nicht auf Gott zurückgegriffen hätte, weil sie anders nicht angenommen worden wären; gibt es doch viele Vorteile, die einem Klugen einsichtig sind, die in sich aber keine so einleuchtende Gründe haben, daß sie andere davon überzeugen.)] . Allein es ist nicht jedermanns Sache, die Götter reden zu lassen oder Glauben zu finden, wenn er sich für ihren Dolmetscher ausgibt. Die erhabene Seele des Gesetzgebers ist das einzige Wunder, das seine Sendung beweisen muß. Jeder kann Gebote auf steinerne Tafeln eingraben oder ein Orakel erkaufen oder einen geheimen Umgang mit irgendeiner Gottheit vorgeben oder einen Vogel abrichten, ihm etwas in das Ohr zu zwitschern, oder andere plumpe Mittel zur Täuschung des Volkes erfinden. Wer sich nur auf dergleichen versteht, kann aus Zufall wohl einen Haufen Narren um sich sammeln, wird aber nie ein Reich gründen, und sein abenteuerliches Werk wird mit ihm bald zugrunde gehen. Nichtige Gaukeleien bilden kein haltbares Band, nur die Klugheit macht es dauerhaft. Das jüdische Gesetz, das noch immer besteht, wie der Islam, der seit zehn Jahrhunderten die halbe Welt regiert, geben noch heutzutage die Größe ihrer Stifter zu erkennen, und während philosophischer Stolz oder blinder Parteigeist in ihnen nur glückliche Betrüger erblickt, bewundert der wahre Staatsmann in ihren Verfassungen den großen und gewaltigen Geist, der dauerhafte Einrichtungen ins Leben ruft.
    Man braucht aus allem diesem noch nicht mit Warburton [Fußnote: Ein berühmter englischer Theologe, der 1779 gestorben ist.] zu schließen, daß bei uns Politik und Religion einen gemeinsamen Zweck haben, sondern nur, daß beim Entstehen der Völker die eine der andern als Werkzeug dient.

8. Kapitel
Vom Volk
    Wie der Baumeister vor Aufführung eines großen Gebäudes den Erdboden beobachtet und untersucht, um zu sehen, ob er die Last auszuhalten vermag, so macht der weise Gründer eines Staates nicht damit den Anfang, an sich gute Gesetze zu erlassen, sondern er prüft vorher, ob das Volk, für das er sie bestimmt, fähig ist, sie zu ertragen. Aus diesem Grunde lehnte es Plato ab, den Arkadiern und Kyrenäern Gesetze zu geben, da er wußte, daß diese beiden Völker reich waren und die Gleichheit nicht ausstehen konnten; deshalb sah man in Kreta gute Gesetze und schlechte Menschen, weil es Minos bei seiner Gesetzgebung nur mit einem von Lastern fast erdrückten Volke zu tun gehabt hatte.
    Tausende von Nationen, die nie gute Gesetze hätten ertragen können, haben auf Erden geglänzt, und selbst solche, die dazu imstande gewesen wären, haben es während ihres ganzen Bestandes nur eine sehr kurze Zeit vermocht. Gleich den Menschen sind die meisten Völker nur in ihrer Jugend gelehrig; im Alter werden sie unverbesserlich. Wenn sich erst Gewohnheiten eingestellt haben und Vorurteile eingewurzelt sind, so ist der Versuch zu ihrer Umgestaltung ebenso gefährlich wie vergeblich; das Volk kann es einmal nicht leiden, daß man seine Gebrechen berührt, um sie aus der Welt zu schaffen; es gleicht darin den einfältigen und furchtsamen Kranken, die bei dem Anblicke des Arztes mit den Zähnen klappern.
    Wie gewisse Krankheiten den Kopf der Menschen verwirren und ihnen das Gedächtnis rauben, so kommen im Verlauf der Staaten bisweilen leidenschaftlich erregte Zeitabschnitte vor, in denen Revolutionen auf die Völker eine gleiche Wirkung ausüben wie gewisse Krisen auf einzelne Menschen und der Abscheu vor der Vergangenheit die Stelle der Vergessenheit ersetzt, Zeitabschnitte, in denen der durch Bürgerkriege in Brand gesetzte Staat wie aus der Asche wiedergeboren wird und die Kraft der Jugend wiedergewinnt, nachdem er sich erst mühsam aus den Armen des Todes freigemacht hat. Dies zeigt Sparta zur Zeit Lykurgs und Rom nach der Vertreibung der Tarquinier, dies haben zu unserer Zeit Holland und die Schweiz nach der Vertreibung ihrer Tyrannen bewiesen.
    Aber solche Entwicklungen sind selten; es sind Ausnahmen, deren Grund stets in der besonderen Verfassung des sich ausnahmsweise entwickelnden Staates liegt. Sie würden sogar nicht zweimal bei demselben Volke stattfinden können, denn es vermag sich nur frei zu machen, solange es noch im Zustande der Barbarei verharrt, aber es ist dazu nicht mehr imstande, wenn die Kraft des Bürgerstandes

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