Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
nie könnte er vermeiden, daß Privatzwecke die Heiligkeit seines Werkes trübten.
    Als Lykurg seinem Vaterlande Gesetze gab, legte er zunächst die königliche Würde nieder. Bei der Mehrzahl der griechischen Städte war es Sitte, Fremden die Abfassung ihrer Gesetze anzuvertrauen. Die neueren Republiken Italiens ahmten diesen Gebrauch oft nach; auch Genf befolgte ihn und befand sich dabei wohl. [Fußnote: Wer Calvin nur als Theologen kennt, hat ein geringes Verständnis für den Umfang seines Geistes. Die Abfassung unserer weisen Verordnungen, an der er einen hervorragenden Anteil hatte, bringt ihm ebensoviel Ehre als seine Kirchenverbesserung. Welchen Umschwung die Zeit auch in unserer Gottesverehrung herbeiführen möge, wird das Gedächtnis dieses großen Mannes, solange Vaterlands- und Freiheitsliebe unter uns nicht erloschen ist, doch immerdar gesegnet sein.] Rom sah während seines schönsten Zeitalters alle Verbrechen der Tyrannei in seinem Schoße aufs neue erwachen und sich nahe am Untergange, weil es die gesetzgebende und oberherrliche Gewalt in denselben Händen vereinigt hatte.
    Gleichwohl maßten sich selbst die Dezemvirn nie das Recht an, allein aus eigener Machtvollkommenheit irgendein Gesetz zu erlassen. »Keiner unserer Vorschläge«, sagten sie zum Volke, »kann ohne eure Genehmigung Gesetzeskraft erhalten. Römer, seid selbst die Urheber der Gesetze, die zu eurem Glücke führen sollen!«
    Der Abfasser der Gesetze hat demnach keine gesetzgebende Berechtigung oder sollte sie doch nicht haben, und das Volk kann, selbst wenn es wollte, auf dieses nicht übertragbare Recht auf keinen Fall verzichten, weil nach dem Urvertrage nur der allgemeine Wille die einzelnen verpflichtet und es sich erst nach der freien Abstimmung des Volkes mit Sicherheit bestimmen läßt, ob der Wille des einzelnen mit dem allgemeinen in Einklang ist. Obgleich ich dies bereits gesagt habe, ist es doch zweckmäßig, es zu wiederholen.
    Demzufolge findet man in dem Werke der Gesetzgebung zwei scheinbar unvereinbare Dinge vereint; ein die menschliche Kraft übersteigendes Unternehmen und zu seiner Ausführung eine Macht, die gleich Null ist.
    Hierzu tritt noch eine andere Schwierigkeit, die ebenfalls Beachtung verdient. Die Weisen, die sich dem Volke gegenüber ihrer eigenen Sprache statt der seinigen bedienen wollen, würden unfähig sein, sich ihm verständlich zu machen. Tausenderlei Begriffe lassen sich aber nie in die Sprache des Volkes übertragen. Allzu allgemeine Gesichtspunkte und allzu entfernte Ziele übersteigen in gleicher Weise seine Fassungskraft. Da jedem einzelnen nur der auf sein Privatinteresse abzielende Regierungsplan zusagt, so sieht er sehr schwer ein, welche Vorteile er aus den durch gute Gesetze ihm auferlegten beständigen Beraubungen gewinnen soll. Damit ein im Entstehen begriffenes Volk Gefallen an den gesunden Grundsätzen der Staatskunst finden und die Grundregeln des Staatsrechtes befolgen könnte, wäre es nötig, daß die Wirkung zur Ursache würde, daß der gesellschaftliche Geist, der das Werk der Verfassung sein soll, selbst den Vorsitz in der Verfassung führen sollte, und daß die Menschen schon vor dem Bestehen der Gesetze das wären, was sie erst durch dieselben werden sollen. Da nun also der Gesetzgeber weder Gewalt anwenden noch mit Urteilskraft rechnen kann, so muß er notwendigerweise zur Autorität einer anderen Ordnung, die ohne Zwang hinzureißen und ohne zu überzeugen, doch zu überreden vermag, seine Zuflucht nehmen.
    Das war es, was die Väter der Nationen zu allen Zeiten zwang, zur Vermittlung des Himmels Zuflucht zu nehmen und die Götter aus eigener Klugheit zu ehren, damit die Menschen, die sowohl den Gesetzen des Staates wie denen der Natur unterworfen sind und dieselbe Macht in der Bildung des Menschen wie in der des Staates anerkennen, freiwillig gehorchen und das Joch des Staatsglückes gelehrig tragen möchten.
    Diese höhere Einsicht, die sich über den Gesichtskreis der gewöhnlichen Menschen erhebt, ist es, deren Entscheidungen der Gesetzgeber den Unsterblichen in den Mund legt, um solche, die sich durch menschliche Klugheit nicht erschüttern ließen, durch das göttliche Ansehen mit fortzureißen. [Fußnote: »E veramente«, sagt Macchiavelli, »mai non fû alcone ordinatore di leggi straordinarie in un popolo, che non ricorrezze a Dio, perchè altrimenti non sarebbero accettate; perchè sono molti beni conosciuti da uno prudente, i quali non hanno in se ragioni

Weitere Kostenlose Bücher