Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
verbraucht ist. Dann können die Unruhen es vernichten, ohne daß es die Revolutionen wiederherstellen können, und es zerfällt und besteht nicht länger, sobald seine Fesseln gebrochen sind; von dem Augenblicke an hat es einen Herrn und nicht einen Befreier nötig. Ihr freien Völker, erinnert euch folgenden Grundsatzes: »Man kann sich die Freiheit erringen, gewinnt sie aber nie noch einmal!«
    Man unterscheide zwischen Jugend und Kindheit; es gibt für die Völker wie für die Menschen eine Zeit der Jugend oder, wenn man will, der Reife, die man abwarten muß, ehe man sie den Gesetzen unterwirft; allein die Reife eines Volkes ist nicht immer leicht zu erkennen, und wenn man ihr zuvorkommt, ist das Werk verfehlt. Das eine Volk ist schon beim Entstehen bildungsfähig, das andere noch nicht nach zehn Jahrhunderten. Die Russen werden nie wahrhaft gesittet werden, weil sie es zu früh werden sollten. Peter besaß den Geist der Nachahmung, aber nicht das wahre schöpferische Genie, das alles aus dem Nichts ins Leben ruft. Einige seiner Schöpfungen waren gut, die meisten dagegen am unrechten Platze. Er sah die Roheit seines Volkes, sah jedoch nicht, daß es für höhere Gesittung noch nicht reif war; er wollte es zivilisieren, als es erst der Zucht bedurfte. Er wollte gleich Deutsche und Engländer schaffen, während er damit hätte beginnen müssen, echte Russen zu schaffen. Er trug selbst die Schuld daran, daß seine Untertanen nie das wurden, was sie hätten werden können, indem er sie überredete, sie wären schon, was sie doch nicht sind. Auf gleiche Weise erzieht ein französischer Hofmeister seinen Schüler dazu, um in seiner Kindheit zu glänzen und dann nichts zu sein. Das russische Reich wird darauf ausgehen, Europa zu unterjochen und wird selbst unterjocht werden. Die Tartaren, seine Untertanen oder Nachbarn, werden seine und unsere Herren werden; diese völlige Umwälzung scheint mir unabwendbar. Alle Könige Europas arbeiten einmütiglich daran, sie zu beschleunigen.

9. Kapitel
Fortsetzung
    Wie die Natur dem Wuchse eines wohlgebildeten Menschen Grenzen gesetzt hat, die nur von Riesen oder Zwergen überschritten werden, so gibt es auch hinsichtlich der besten Zusammensetzung eines Staates Schranken des Umfanges, die er haben darf, damit er nicht zu groß sei, um gut regiert werden zu können, und auch nicht allzu klein, um fähig zu sein, sich durch sich selbst zu erhalten. In jedem politischen Körper gibt es ein Maximum der Kraft, über das er nicht hinausgehen darf und von dem er sich durch Vergrößerungen oft entfernt. Je weiter sich das staatliche Band ausdehnt, um so lockerer wird es, und gewöhnlich ist ein kleiner Staat verhältnismäßig stärker als ein großer.
    Tausend Gründe beweisen diesen Satz. Zunächst wird bei großen Entfernungen die Verwaltung beschwerlicher, wie ein Gewicht am Ende eines längeren Hebelarmes schwerer wird. Mit der Zunahme ihrer Abstufungen wird sie auch lästiger, denn zunächst hat jede Stadt ihre Verwaltung, die das Volk bezahlt, jeder Kreis die seinige, die das Volk ebenfalls bezahlt; sodann jede Provinz, ferner die großen Regierungsbezirke, Statthalterschaften und Vizekönigreiche, die mit zunehmendem Umfange immer teurer und natürlich stets auf Kosten des unglücklichen Volkes bezahlt werden müssen; schließlich kommt noch die oberste Verwaltung, die alles verschlingt. So viele Steuerlasten erschöpfen die Untertanen fortwährend; durch diese verschiedenen Abstufungen werden sie nicht etwa besser regiert, sondern es ergeht ihnen weit schlimmer, als wenn sie es nur mit einer einzigen Verwaltung zu tun hätten. Für außerordentliche Fälle bleiben kaum noch Hilfsmittel übrig, und muß man wirklich zu ihnen seine Zuflucht nehmen, dann steht der Staat regelmäßig am Vorabende seines Unterganges.
    Das ist noch nicht alles: die Regierung hat nicht nur weniger Gewalt und Schnelligkeit, um die Gesetze beobachten zu lassen, Bedrückungen zu wehren, Mißbräuche abzustellen, aufrührerischen Unternehmungen vorzubeugen, die in entfernten Gegenden stattfinden können, sondern das Volk hat auch weniger Liebe zu seinen Vorgesetzten, die es nie sieht, zu seinem Vaterlande, das ihm wie die Welt erscheint, und zu seinen Mitbürgern, die ihm größtenteils fremd sind. Für so viele verschiedene Provinzen mit verschiedenen Sitten und unter entgegengesetzten Himmelsstrichen gelegen, die nicht dieselbe Regierungsform vertragen, können die gleichen Gesetze unmöglich

Weitere Kostenlose Bücher