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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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angemessen sein. Verschiedene Gesetze erzeugen dagegen unter den Völkern, die infolgedessen, daß sie unter denselben Behörden und in unaufhörlicher Verbindung leben, sich gegenseitig besuchen und untereinander verheiraten und, da sie verschiedenen Gewohnheiten unterworfen sind, doch nicht wissen, ob ihnen ihr Erbteil auch gesichert ist, Unruhe und Verwirrung. Unter einer so großen Schar einander unbekannter Menschen, die der Sitz der höchsten Regierung an dem gleichen Orte vereinigt, bleiben die Talente vergraben., die Tugenden ohne Anerkennung, die Laster ungestraft. Die mit Geschäften überbürdeten Vorgesetzten sehen nichts mit eigenen Augen; Unterbeamte regieren den Staat. Endlich nehmen die Maßregeln, die die Aufrechterhaltung der Regierungsgewalt erforderlich macht, weil sich ihr so viele entfernte Beamte zu entziehen oder sich über sie hinwegzusetzen suchen, alle staatlichen Bemühungen in Anspruch; für das Glück des Volkes bleibt von ihnen nichts übrig; kaum sorgt man im Notfalle für seine Verteidigung. Auf diese Weise schwächt sich ein in bezug auf seine Zusammensetzung zu großer Körper und sinkt unter seiner eigenen Last zerschmettert zusammen.
    Andererseits muß sich der Staat eine sichere Grundlage geben, die ihm Festigkeit verleiht, um den unausbleiblichen Erschütterungen widerstehen und die Anstrengungen aushalten zu können, zu denen ihn seine Erhaltung zwingen wird; denn alle Völker haben eine gewisse Zentrifugalkraft, vermöge deren sie unaufhörlich aufeinander einwirken und sich auf Kosten ihrer Nachbarn zu vergrößern streben wie die Gedankenstrudel des Descartes. So laufen die Schwachen denn Gefahr, bald verschlungen zu werden, und keiner kann sich anders erhalten, als daß er sich mit allen in eine Art Gleichgewicht setzt, das den Druck nach allen Seiten ungefähr gleichmäßig macht.
    Hieraus geht klar hervor, daß es sowohl Gründe zur Erweiterung wie Gründe zur Einengung gibt, und es ist nicht das unbedeutendste Talent des Staatsmannes, zwischen den einen wie den anderen das der Erhaltung des Staates günstigste Verhältnis zu finden. Im allgemeinen kann die Behauptung aufgestellt werden, daß die ersteren, da sie nur äußerlich und relativ sind, den letzteren als den innerlichen und allgemeingültigen untergeordnet sein müssen. Eine gesunde und starke Verfassung muß zunächst erstrebt werden, und man darf sich mehr auf die Kraft verlassen, die aus einer guten Regierung hervorgeht, als auf die Hilfsmittel, die ein großes Gebiet darbietet.
    Übrigens hat es so eigentümlich organisierte Staaten gegeben, daß ihre eigene Verfassung die Notwendigkeit zu Eroberungen zur Folge hatte und sie zu ihrer Erhaltung gezwungen waren, sich unaufhörlich zu vergrößern. Wie stolz sie auf diese wunderliche Notwendigkeit vielleicht auch waren, so enthüllte sie ihnen doch auf dem höchsten Gipfel ihrer Größe den unvermeidlichen Augenblick ihres Falles.

10. Kapitel
Fortsetzung
    Man kann einen politischen Körper auf zweierlei Weise messen, nämlich nach dem Gebietsumfange und nach der Volksmenge, und zwischen diesen beiden Maßstäben findet sich das richtige Verhältnis zur Bestimmung der wahren Größe des Staates. Die Menschen bilden den Staat, und der Erdboden ernährt die Menschen; das Verhältnis beruht folglich darauf, daß das Land zum Unterhalte seiner Bewohner genügt und so viele Menschen auf ihm wohnen, wie es zu ernähren vermag. In diesem Gleichmaße liegt das Maximum der Kraft einer gegebenen Volksmenge; denn ist das Gebiet zu groß, so ist die Beschützung der Grenzen beschwerlich, die Bebauung ungenügend, der Ertrag über das Notwendige hinausgehend; dies ist die nächste Veranlassung zu Verteidigungskriegen. Im umgekehrten Falle hängt der Staat, um sich das Fehlende zu verschaffen, lediglich von der Willkür seiner Nachbarn ab, und hierin liegt wieder die nächste Veranlassung zu Angriffskriegen. Jedes Volk, das wegen seiner Lage nur die Wahl zwischen Handel und Krieg hat, ist an und für sich schwach, hängt von seinen Nachbarn wie von den Ereignissen ab und hat nur ein unsicheres und kurzes Dasein. Es unterjocht und verändert seine Lage oder es wird unterjocht und vernichtet. Nur durch Kleinheit oder Größe kann es sich frei erhalten.
    Ein festes Verhältnis zwischen der Ausdehnung des Landes und der Anzahl der Menschen, wie sie füreinander genügen, läßt sich nicht berechnen, denn die verschiedenen Eigenschaften des Bodens, die Grade seiner Fruchtbarkeit,

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