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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Rede, und ich glaube nicht, daß jemand so dreist ist, die Fruchtbarkeit kalter und heißer Länder im allgemeinen für gleich zu erklären. Nehmen wir jedoch diese Gleichheit einmal an, vergleichen wir England mit Sizilien und Polen mit Ägypten! Dann haben wir weiter nach Süden noch Afrika und Indien, weiter nach Norden aber nichts mehr. Und selbst bei der angenommenen Gleichheit des Ertrages, so besteht doch eine große Verschiedenheit in der Bodenbearbeitung. In Sizilien braucht man den Boden nur zu lockern; was für Mühe verlangt dagegen die Landwirtschaft in England! Wo man aber mehr Hände bedarf, um denselben Ertrag zu erzielen, da muß der Überschuß auch unbedingt geringer sein.
    Man berücksichtige ferner, daß die gleiche Zahl Menschen in den heißen Ländern bei weitem weniger verzehrt. Das Klima verlangt zur Erhaltung der Gesundheit Mäßigkeit; die Europäer, die dort wie zu Hause leben wollen, sterben sämtlich an Ruhr und Verdauungsstörungen. »Mit den Asiaten verglichen, sind wir«, sagt Chardin, »fleischfressende Tiere, wahrhaft reißende Wölfe. Einige schreiben die Mäßigkeit der Perser dem schlechten Anbau ihres Landes zu, ich dagegen bin überzeugt, daß das Land nur deshalb einen weniger reichen Ertrag liefert, weil eben die Bewohner weniger nötig haben. Wäre ihre Mäßigkeit«, fährt er fort, »die Folge der geringen Ertragsfähigkeit ihres Landes, so würden nur die Armen wenig essen, während die Mäßigkeit doch allgemein herrscht; und man würde in jeder Provinz je nach der Fruchtbarkeit ihres Bodens mehr oder weniger Nahrung gebrauchen, während sich im ganzen Königreich gleiche Mäßigkeit findet. Sie rühmen sich ihrer genügsamen Lebensweise auch im hohen Grade, indem sie versichern, man brauche nur ihre Gesichtsfarbe anzusehen, um sofort die Vorzüge ihrer Lebensweise vor der der Christen zu erkennen. Die Gesichtsfarbe der Perser ist auch wirklich sehr rein und ihre Haut schön, fein und glatt, während die Gesichtsfarbe der ihnen unterworfenen Armenier, die nach europäischer Weise leben, grob und kupferfarben und ihr Körper plump und schwerfällig ist.«
    Je mehr man sich dem Äquator nähert, desto weniger Lebensbedürfnisse haben die Völker. Sie essen fast gar kein Fleisch; Reis, Mais, Kukuruz, Hirse, Cassava bilden die gewöhnlichen Nahrungsmittel. Millionen Menschen gebrauchen in Indien zu ihrem Lebensunterhalte täglich nur wenige Pfennige. Selbst in Europa gewahren wir in bezug auf die Eßlust einen auffallenden Unterschied zwischen den nördlichen und südlichen Völkern. Ein Spanier kann von dem Mittagsmahl eines Deutschen acht Tage leben. In den Ländern, wo die Menschen mehr Nahrungsmittel zu sich nehmen, dreht sich auch der Luxus um Eßsachen; in England zeigt er sich auf einer mit Fleisch beladenen Tafel, und in Italien setzt man Zuckerwerk und Blumen vor.
    Ähnliche Unterschiede bietet der Luxus in Kleidern dar. Unter Himmelsstrichen, wo der Witterungswechsel schnell und heftig eintritt, hat man bessere und einfachere Kleider; in solchen, wo man sich nur um des Putzes willen kleidet, nimmt man mehr auf Glanz als auf Nutzen Rücksicht, und die Kleidung ist dort reiner Luxus. In Neapel kann man täglich Leute zum Posilipp spazieren sehen, die goldbesetzte Oberkleider tragen, aber barfuß gehen. Ebenso verhält es sich mit den Wohnhäusern: hat man nichts von der Ungunst der Witterung zu fürchten, so verwendet man alles auf äußere Pracht. In Paris und London will man warm und bequem wohnen; in Madrid hat man zwar prächtige Räumlichkeiten, aber keine schließenden Fenster, und schläft des Nachts in förmlichen Rattenlöchern.
    In warmen Ländern sind die Nahrungsmittel kräftiger und saftreicher; das ist ein dritter Unterschied, der notwendigerweise auf den zweiten einwirken muß. Weshalb ißt man in Italien so viel Gemüse? Weil es dort gut, nahrhaft und äußerst wohlschmeckend ist. In Frankreich, wo es schier nur aus Wasser besteht, hat es keinen Nährwert und zählt fast nichts für die Tafel; trotzdem verlangt sein Anbau ebensoviel Land und wenigstens ebensoviel Mühe. Wie die Erfahrung lehrt, gibt das Getreide in der Berberei, das im übrigen dem französischen nachsteht, ungleich mehr Mehl, während das französische wieder mehr liefert als das Getreide der nördlichen Länder. Hieraus läßt sich schließen, daß man im allgemeinen eine ähnliche Abstufung vom Äquator nach den Polen zu wahrnehmen kann. Liegt nun nicht ein augenscheinlicher

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