Der Gesellschaftsvertrag
Nachteil darin, wenn man bei gleichem Ertrag einen geringeren Nährwert erhält?
Allen diesen verschiedenen Betrachtungen kann ich noch eine hinzufügen, die sich aus ihnen ergibt und sie bestätigt, und zwar die, daß warme Länder weniger Bewohner bedürfen als kalte, obgleich sie mehr ernähren könnten, was einen doppelten Überschuß zugunsten des Despotismus gewährt. Je größer die Fläche ist, die eine gleiche Anzahl Bewohner einnimmt, desto schwieriger werden Empörungen, weil man sich weder schnell noch heimlich genug verabreden kann, und es der Regierung beständig leicht ist, die Pläne zu entdecken und die Verbindungen abzuschneiden. Je enger jedoch ein zahlreiches Volk zusammengedrängt wohnt, desto weniger kann die Regierung die Macht des Staatsoberhauptes, nämlich des Volkes, an sich reißen, denn die Häupter desselben beraten in ihren Zimmern ebenso sicher wie der Fürst in seinem Rate, und die Volksmasse versammelt sich auf den Plätzen ebenso schnell wie die Truppen in ihrem Lager. In dieser Beziehung liegt also für die tyrannische Regierung ein Vorteil darin, in großen Entfernungen wirken zu können. Mit Hilfe der Stützpunkte, die sie sich verschafft, steigert sich ihre Kraft mit der Entfernung gleich der Kraft eines Hebels. [Fußnote: Dies widerspricht meiner im neunten Kapitel des zweiten Buches aufgestellten Behauptung über die Übelstände großer Staaten keineswegs, denn dort handelte es sich um die Macht der Regierung über ihre eigenen Glieder, und hier handelt es sich um ihre Gewalt über die Untertanen. Ihre zerstreuten Glieder dienen ihr als Mittelpunkte, um in der Ferne auf das Volk zu wirken; aber sie besitzt keinen Mittelpunkt, um unmittelbar auf ihre Glieder selbst zu wirken. In dem einen Falle verursacht also die Länge des Hebels seine Schwäche und in dem andern seine Kraft.] . Die des Volkes wirkt dagegen nur vereint; sobald sie sich ausdehnt, verflüchtigt und verliert sie sich wie die Wirkung des vereinzelt auf der Erde liegenden Pulvers, das sich nur Korn für Korn entzündet. Die am wenigsten bevölkerten Länder sind folglich für die Tyrannei am meisten geeignet; nur in Wüsten herrschen wilde Tiere.
9. Kapitel
Von den Kennzeichen einer guten Regierung
Wenn man ganz im allgemeinen fragt, welche Regierung die beste sei, so wirft man eine ebenso unlösbare wie unbestimmte Frage auf, oder auch, wenn man will, eine Frage, die ebenso viele richtige Lösungen hat, als es nur irgendwelche denkbare Berechnungen in den absoluten wie relativen Lagen der Völker gibt.
Fragt man dagegen, woran es sich erkennen lasse, ob ein bestimmtes Volk gut oder schlecht regiert werde, so ist dies etwas anderes, und eine so gestellte Frage kann richtig beantwortet werden.
Trotzdem ist ihre Lösung noch nicht gefunden, weil sie jeder auf seine Weise lösen will. Die Untertanen schätzen die öffentliche Ruhe, die Staatsbürger die persönliche Freiheit; der eine stellt die Sicherheit des Eigentums höher, der andere die der Person; dem einen gilt die strengste Regierung als die beste, dem andern die mildeste; dieser verlangt die Bestrafung, der andere die Verhütung der Verbrechen; der eine findet es schön, von den Nachbarn gefürchtet zu werden, der andere wünscht, ihnen lieber unbemerkt zu bleiben; der eine ist zufrieden, wenn Geld im Umlaufe ist, der andere verlangt, daß das Volk Brot habe. Selbst wenn man über diese und andere ähnliche Punkte derselben Ansicht wäre, hätte man damit viel gewonnen? Die moralischen Größen haben kein eigenes Maß; wäre man sich auch über ihre Kennzeichen einig, wie sollte man es über ihren Wert sein?
Mich persönlich setzt es immer in Verwunderung, daß man ein so einfaches Kennzeichen absichtlich oder unabsichtlich verleugnet. Was ist denn der Zweck der politischen Vereinigung? Doch nichts anderes als die Erhaltung und Wohlfahrt ihrer Glieder. Und welches ist das sicherste Kennzeichen, daß sie sich erhalten und gedeihen? Die Zunahme der Bevölkerung. Man suche doch also dieses vielumstrittene Kennzeichen nicht anderswo. Bei Gleichheit aller übrigen Verhältnisse ist unstreitig die Regierung die beste, unter der sich ohne fremde Hilfsmittel, ohne Naturalisationen, ohne Kolonien die Zahl der Bürger fort und fort vermehrt. Die Regierung dagegen, unter der ein Volk abnimmt und dahinschwindet, ist die schlechteste. Statistiker, das ist eure Sache! Zählt, meßt und vergleicht!
Nach demselben Grundsatze sollte man sich auch darüber einigen,
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