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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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welche Jahrhunderte sich um die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechtes am meisten verdient gemacht haben. Man hat viel zu sehr solche bewundert, in denen man Künste und Wissenschaften blühen sah, ohne sich über den geheimen Ausgang ihrer Kultur klar zu werden und die unseligen Wirkungen derselben zu erkennen. »Idque apud imperitos humanitas vocabatur, quum pars servitutis esset.« (Tac. Agric. XXI. Und das hieß bei harmlosen Gemütern Humanität, während es in der Tat ein Stück Knechtschaft war.) Werden wir denn in der Buchweisheit nie den groben Eigennutz erkennen, der die Schriftsteller erfüllt hat? Nein, was sie auch sagen mögen: sobald trotz allem Glanze die Volkszahl in einem Lande geringer wird, so ist es nicht wahr, daß alles gut geht, und es genügt nicht, daß ein Dichter jährlich hunderttausend Mark bezieht, um sein Jahrhundert als das herrlichste hinzustellen. Man muß nicht die scheinbare Ruhe und Zufriedenheit der Machthaber ins Auge fassen, sondern das Wohlergehen des ganzen Volkes und namentlich der zahlreichsten Stände. Der Hagel verheert wohl einige Landstriche, ruft aber selten Hungersnot hervor. Empörungen und Bürgerkriege können die Oberhäupter freilich in Schrecken setzen, bilden aber nicht das wahre Elend der Völker, die bei dem Streit darüber, wer sie tyrannisieren soll, sogar Erholung finden können. Aus ihrem dauernden Zustande geht ihr wahres Wohlergehen oder ihre wirkliche Not hervor. Wenn alles unter dem Joche zermalmt wird, dann geht alles zugrunde, dann vernichten die Machthaber, wen sie wollen, »ubi solitudinem faciunt, pacem appellant.« (Tac. Agric. XXXI.) Als die Verfeindungen der Großen Frankreich beunruhigten und der Koadjutor von Paris mit einem Dolche in der Tasche in das Parlament ging, lebte das Volk trotzdem in anständiger und unabhängiger Wohlhabenheit glücklich und zahlreich, Griechenland blühte einst unter den grausamsten Kriegen; das Blut floß in Strömen, und doch war das Land fast übervölkert. »Unsere Republik«, sagt Macchiavelli, »schien mitten unter Mordtaten, Achtserklärungen und Bürgerkriegen immer mächtiger zu werden; die Tugend ihrer Bürger, ihre Sitten, ihre Unabhängigkeit bewirken eher ihre Kräftigung, als alle Zwistigkeiten ihre Schwächung. Eine geringe Erregung gibt den Gemütern Spannkraft, und was zum Wohlergehen der Menschheit in Wahrheit beiträgt, ist nicht sowohl der Frieden, als die Freiheit.

10. Kapitel
Vom Mißbrauche der Regierung und von ihrer Tendenz zum Verfall
    Gerade wie der Wille des einzelnen unaufhörlich gegen den allgemeinen Willen ankämpft, liegt auch die Regierung im unaufhörlichen Kampfe gegen die Oberherrlichkeit. Je leidenschaftlicher dieser Kampf wird, desto mehr wird die Verfassung geschädigt, und da es hier keinen weiteren Standeswillen gibt, der im Widerstande gegen den Fürsten ihm die Spitze bieten könnte, so muß es früher oder später dahin kommen, daß der Fürst schließlich das Staatsoberhaupt unterdrückt und den Gesellschaftsvertrag bricht. Das ist der damit unzertrennlich verbundene Fehler, der von der Bildung des Staatskörpers an ihn unablässig zu zerstören strebt, wie Alter und Tod zuletzt den Körper des Menschen zerstören.
    Allgemein sind es zwei Wege, auf denen eine Regierung entartet, und zwar Zusammenballung oder Auflösung des Staates.
    Die Regierung ballt sich zusammen, wenn sie von einer großen Anzahl auf eine kleinere, das heißt von der Demokratie zur Aristokratie, und von der Aristokratie zum Königtum übergeht. Das beruht auf ihrer natürlichen Tendenz dazu.
Eigentlich Fußnote. Aus technischen Gründen in den Text gesetzt. Re. Das langsame Entstehen und die allmähliche Entwicklung der Republik Venedig in ihren Lagunen bieten ein bemerkenswertes Beispiel eines solchen Verlaufes dar, und es ist dabei höchst auffallend, daß die Venetianer seit länger als zwölfhundert Jahren noch immer auf der zweiten Stufe, die mit Serrar di Comiglio 1198 begann, zu stehen scheinen. Was die alten Herzoge anlangt, die man ihnen zum Vorwurfe macht, so ist, was auch das Squittinio della liberta Veneta sagen möge, klar nachgewiesen, daß sie nicht die Staatsoberhäupter gewesen sind.
Man wird nicht unterlassen, mir die römische Republik entgegenzuhalten, die eine völlig entgegengesetzte Entwicklung genommen, indem sie von der Monarchie zur Aristokratie und von der Aristokratie zur Demokratie übergegangen sei. Ich denke hierüber ganz anders.
Die erste Stiftung des Romulus

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