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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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wollten unbedingt zu Marian. Die Aura des INAT hat Sie angezogen. Zufällig sind Sie bei mir gelandet, und ich hatte den Eindruck, dass Sie ein heller Kopf sind. Also wollte ich es Ihnen ermöglichen, bei Marian zu studieren. Und sicher, ich war neugierig, wie Marian auf jemanden wie Sie reagieren würde. Aber noch viel neugieriger war ich darauf, wie Sie auf Marian reagieren würden. Angst vor mir? Marian? Weil ich in der Berufungskommission sitze? Marian hat Sie gewiss nicht deshalb akzeptiert, Matthew. Sie hat auf Ihr Potenzial gewettet. Das hat mich natürlich gefreut, weil sie meine Meinung über Sie bestätigt hat. Aber das ist alles.«
    »Marian wird Hillcrest verlassen, nicht wahr?«, fragte ich nach einer kurzen Pause. Er zuckte mit den Schultern.
    »Im Moment weiß niemand, was in den nächsten Monaten passieren wird. Aber diese ganze Sache scheint Sie sehr stark zu beschäftigen. Wegen David, nicht wahr?«
    »Nein.«
    Ich verstummte wieder. Mit wem sollte ich darüber sprechen? Mit Theo? Mit Winfried? Die einzige Person, mit der ich wirklich reden wollte, verweigerte sich.
    »Es ist wegen Marian«, sagte ich. »Ich habe das Gefühl, sie verraten zu haben.«
    Barstow schaute mich völlig entgeistert an. Langsam kehrte er wieder an den Schreibtisch zurück, nahm auf seinem Stuhl Platz und griff nach einem kleinen, grünen Plastiklineal, das dort herumlag.
    »Könnten Sie mir das etwas genauer erklären?«
    Ich begann, zu erzählen, die ganze Geschichte: das verquere Verhältnis zwischen Janine, David und mir, die Vorfälle bis zum Brand im De-Vander-Archiv, meine Spurensuche in Berlin und später in Paris und Brüssel. Auch das letzte Gespräch mit Janine erwähnte ich in groben Zügen. Barstow unterbrach mich kein einziges Mal.
    »Ich glaube, dass Janine Marian aus Brüssel angerufen hat«, schloss ich meinen Bericht. »Nach unserem letzten Streit hat sie bestimmt noch einmal mit ihr telefoniert und ihr gesagt, dass ich die Artikel suchen und lesen würde. Ich glaube, dass Marian sie deshalb so überstürzt veröffentlicht hat. Und ich glaube jetzt auch, dass das ein Fehler war. Sie wären über kurz oder lang ohnehin bekannt geworden. Aber jetzt wird es Marian die Berufung kosten. Der Fall wird politisch ausgeschlachtet werden. Und das wollte ich nicht. Marian hat doch überhaupt nichts getan. Ich fühle mich schuldig. Verstehen Sie das nicht? Diese Pressekonferenz, dieser Hass, der ihr von allen Seiten entgegenschlägt, als hätte sie selbst diese Artikel geschrieben ...«
    Barstow hatte sich wieder erhoben. Er zog seine Hose hinauf und kehrte an das Bücherregal zurück.
    »Niemand macht Marian dafür verantwortlich, was Jacques De Vander geschrieben hat«, sagte er.
    »Doch«, entgegnete ich. »Alle tun das.« Ich zögerte, dann fügte ich hinzu: »Und Sie tun das auch, Professor Barstow.«
    »Das ist nicht wahr, Matthew.« »Die Pressekonferenz hat das doch gezeigt.« »Die Pressekonferenz? Sie hat vor allem gezeigt, wie Marian und Holcomb mit diesen Texten umgehen werden. Sie werden sie wie Apokryphen behandeln, störende Varianten, von der die reine Lehre beschädigt werden könnte. De Vander hat aus dem Grab heraus einen furchtbaren Kommentar zu seinem Werk geliefert...«
    »... der nun dazu dienen wird, die ganze Lehre zu verteufeln«, erwiderte ich.
    »Verteufeln kann man nur, was vorher heilig war. Wir sind hier nicht in der Kirche, Matthew. Das ist ja mein Problem mit dieser ganzen Schule.«
    »Aber vielleicht sind diese Artikel nur Jugendsünden. Viele Intellektuelle haben damals mit dem Faschismus geflirtet und in Hitler vorübergehend einen Revolutionär gesehen. Gottfried Benn zum Beispiel. Oder Heidegger. Und der hat sich später nicht einmal wirklich davon distanziert. De Vander hat seine Position später radikal geändert.« »Wirklich, Matthew? Hat er das?« Barstow ging an seinen Schreibtisch und griff nach einem Stapel von Papieren, die neben seinem Telefon lagen. An den Deckblättern erkannte ich, dass es Seminararbeiten waren. Er suchte einige heraus und begann darin zu blättern. Hier und dort waren Passagen durch gelbe Haftnotizen markiert.
    »Ich habe unter dem Eindruck der letzten Tage einmal die De-Vander-Zitate gesammelt, die meine fortgeschrittenen Studenten besonders lieben«, sagte er. »Hier etwa. Das politische Geschick des Menschen ist strukturiert und abgeleitet von einem linguistischen Modell, das unabhängig von der Natur und vom Subjekt existiert. Glauben Sie

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