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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Druckfehler betrachtet hat. Hat Thorpe damals Mr. W.SH. auf das Manuskript geschrieben und der Setzer das S einfach vergessen? Schrieb Thorpe vielleicht ursprünglich W.SH. oder W.Sh., besann sich dann anders und strich den zweiten Buchstaben des Nachnamens, wobei der Setzer irrtümlich diesen beibehielt und statt des S das H druckte? Vergessen wir nicht, dass in Handschriften des siebzehnten Jahrhunderts die Buchstaben S und H leicht verwechselt werden können. Ein Druckfehler dieser Art ist jedenfalls sehr viel wahrscheinlicher als all die rätselhaften Chiffren, die man in der Buchstabenkombination W.H. hat entdecken wollen. Eine banale Lösung für ein großes Geheimnis? Ich denke nicht. Das eigentliche Geheimnis bleibt uns ja erhalten. Meine Absicht war nur, das Namensschild an der Pforte zu einer der zweifellos rätselhaftesten und großartigsten Gedichtsammlungen der Weltliteratur wieder klar lesbar zu machen. Ich denke, wir sollten rasch hineingehen und uns mit den Geheimnissen in den Sonetten selbst beschäftigen. Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit mit den akademischen Pseudohieroglyphen am Eingang. Die wirklichen Geheimnisse beginnen dahinter. Davon vielleicht bald mehr. Ich danke Ihnen.«
    Es dauerte einige Sekunden, bis der Beifall einsetzte. Das Publikum applaudierte laut und kräftig. Einige Zuhörer erhoben sich respektvoll, andere folgten. Einige jüngere Zuhörer pfiffen sogar. David verbeugte sich mehrfach. Dann stieg er die Bühnentreppe hinab und setzte sich auf seinen Platz.
    Jeffrey Holcomb erhob sich und trat ans Mikrofon. Der Applaus verstummte, die Zuhörer setzten sich wieder.
    »Danke, David, für diesen bemerkenswerten Vortrag«, begann er. »Sie werden mir zustimmen, dass eine solch komplette und überzeugende Darstellung eigentlich keiner weiteren Diskussion bedarf. Daher bitte ich Sie nun einfach noch einmal um Applaus für diese Glanzleistung und lade Sie zu einem kleinen Umtrunk in unsere Fakultät ein. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
    Winfried schüttelte den Kopf. Gerda tuschelte mit Theo, während die zweite Welle Applaus allmählich abebbte. Ich versuchte, Janine im Auge zu behalten. David hatte sich wieder erhoben. Sowohl Holcomb als auch Krueger waren schon verschwunden. Neil Carruthers näherte sich David, machte jedoch auf halber Strecke kehrt und verließ ebenfalls den Saal. Ein paar Studenten in der zweiten und dritten Reihe diskutierten miteinander. David rief ihnen etwas zu. Ich konnte nicht hören, was gesagt wurde. Janine griff David am Arm und wollte ihn wegziehen. Aber er blieb stehen. Und dann sah ich die Geste. Der Vorfall war in seiner Heftigkeit schockierend. Einer der Studenten zeigte David hasserfüllt den Finger. David lachte nur. Dann folgte er Janine, die ihn, sichtlich besorgt, zum Bühnenausgang drängte.
    Ich war völlig verwirrt. Was hatte sich hier abgespielt? Gerdas Bemerkung dröhnte in meinem Kopf. Ein Königinnenmord?

TEIL II
Kapitel 23
    Es gab keinen Empfang, der diesen Namen verdient hätte. Weder Marian noch Jeffrey Holcomb ließen sich blicken. Marvin Krueger spielte als einziger die Rolle des Gastgebers. Catherine, die Sekretärin, hatte Pappbecher mit lauwarmem Orangensaft vorbereitet, die niemand anrührte. Von den empörten Studenten, die ich eben noch im Vortragsaal gesehen hatte, war kein einziger gekommen.
    David hatte sich an einem Stehtisch neben dem Sekretariat postiert und nahm Glückwünsche von Zuhörern entgegen. Janine stand neben ihm. Ich wagte es nicht, zu ihnen hinzugehen. Immerhin schaute sie zweimal zu mir herüber und lächelte unbeholfen.
    Gerda, Winfried und Theo waren nicht mitgekommen, sondern gleich zu Winfried gegangen, um dort etwas Richtiges zu trinken. Ich bereute es jetzt, mich ihnen nicht angeschlossen zu haben. Ich schaute mich um und entdeckte John Barstow. Er kam auf mich zu.
    »Hi, Matthew. Wie geht's?«
    »Gut, danke«, sagte ich. »Und Ihnen?«
    Er schnitt eine der Grimassen, die normalerweise eine originelle Antwort ankündigte, blieb sie diesmal jedoch schuldig.
    »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wie es mir geht. Ich bin ... wie soll ich sagen: sehr erstaunt.« Er setzte an, noch etwas hinzuzufügen, schaute dann jedoch nur zu David hinüber, der einer älteren Dame die Hand schüttelte.
    »Danke, sehr freundlich«, hörte ich ihn sagen. »Ja, der Aufsatz ist bereits zur Veröffentlichung angenommen.«
    Barstow hob seinen Pappbecher. »Dieser Orangensaft«,
    sagte er kopfschüttelnd. »Kann sich

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